Die katholische Kirche ringt um ihr Verständnis von Synodalität. Meint Synodalität lediglich einen Beratungsprozess, gegebenenfalls unter Beteiligung von Laien? Dieses Verständnis mahnt Rom an. Oder beinhaltet Synodalität Elemente demokratischer Mitbestimmung und Machtkontrolle durch Laien? Dieses Verständnis legen die aktuellen Lernprozesse mit der Synodalität in Deutschland nahe. Hier zeichnet sich die Möglichkeit ab, demokratische Verfahren in der katholischen Kirche theologisch gut begründet einzuführen.
Man darf nicht vergessen, dass der Auslöser für dieses intensive Ringen in Deutschland die erschütternden Erkenntnisse der 2018 veröffentlichten MHG-Studie waren. Sie hat gezeigt, dass der vielfache sexuelle und geistige Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker nicht nur ein Fehlverhalten Einzelner war. Es handelt sich dabei auch um ein Versagen der Institution. Die Studie offenbart eine spezifische institutionelle Problematik. Die Tradition sowie die Strukturen der Kirche konnten nicht nur den sexuellen und geistigen Missbrauch Minderjähriger nicht verhindern, sie haben ihn vielmehr begünstigt.
Die Deutsche Bischofskonferenz reagierte mit der Bereitschaft, aus dem Geschehenen und Erkannten zu lernen, damit Missbrauch in Zukunft möglichst verhindert wird. Deshalb beschloss sie 2019 das Reformprojekt „Synodaler Weg“. Die gegenwärtige Debatte über Synodalität hängt unmittelbar mit den Erkenntnissen über die systemischen Faktoren zusammen, die den vielfachen sexuellen und geistigen Missbrauch durch Kleriker gefördert haben. Dabei musste kirchenrechtliches Neuland betreten werden.
Eigentlich ist Synodalität ein Strukturmerkmal der katholischen Kirche, das bis ins zweite Jahrhundert zurückgeht. Es wurde auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) wiederentdeckt. Das Zweite Vatikanische Konzil ging über ein ausschließlich hierarchisches und zentralistisch strukturiertes Kirchenbild hinaus. Synodalität wurde zum Ausdruck für das theologische Selbstverständnis der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen. Diese theologische Bestimmung schlug sich allerdings nicht in einer entsprechenden institutionellen Ausgestaltung nieder. Eine kirchenrechtliche Absicherung der mitentscheidenden Kompetenz aller Gläubigen und einer relativen Eigenständigkeit synodaler Zwischeninstanzen blieb aus. Deshalb bietet das geltende Kirchenrecht derzeit keine angemessene Form für synodale Projekte in gemeinsamer Verantwortung von Bischöfen und Laien. Aus diesem Grund war für den Synodalen Weg eine Konstruktion notwendig, die über das geltende kirchenrechtliche System hinausgeht. Um gegen die systemischen Ursachen für den Missbrauch durch Kleriker und die Vertuschung durch die jeweiligen Bistumsleitungen anzugehen, war es notwendig, sich kirchenrechtlich nicht einengen zu lassen und neue Handlungs- und Entscheidungsspielräume zu nutzen.
Einer der Schwerpunkte auf dem Synodalen Weg wurde dann Macht- und Gewaltenteilung in der Kirche. Es bestand weitgehend die Bereitschaft und Fähigkeit für disruptive Reformen und dafür, diese in neue organisationale Realitäten zu übersetzen. In diesem Zusammenhang wurde die Forderung erarbeitet, Kontrolle und Eingrenzung der bischöflichen Macht durch demokratisch gewählte Gremien und die Bindung der Kleriker an die Entscheidungen von gewählten Laiengremien zu ermöglichen. Diese Forderung deckt sich mit dem seit Jahrzehnten immer wieder artikulierten Ruf nach einer angemessenen Beteiligung von Laien an der Leitungs- und Entscheidungsgewalt in der katholischen Kirche.
Aus den derzeitigen Vorgaben für Synodalität folgt jedoch eine strikte Trennung von Beratungs- und Entscheidungsprozessen. Das ist das Verständnis von Synodalität, das den Reaktionen aus Rom zugrunde liegt. Konsultationen mit Laien sind möglich, aber alle Entscheidungen sind an das Weiheamt gebunden. Auf diese Weise wird die Kompetenz der Laien bislang strukturell aus kirchlichen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen.
Dadurch ergibt sich zunächst ein massives Glaubwürdigkeitsproblem der katholischen Kirche. Wie ernst meint sie es mit ihrem Bekenntnis, Demokratie stehe für Freiheit und Menschenrechte, wenn sie das selbst nicht umsetzt? Dadurch ergibt sich aber auch eine erhebliche Diskrepanz im Erleben der Gläubigen. In einem freiheitlich-demokratischen Kontext erfahren die Gläubigen als Bürgerinnen und Bürger Partizipation und Beteiligung an der Entscheidungsfindung als Grundlage für ein gutes Zusammenleben und ein angemessenes Miteinander. Sie machen die Erfahrung, dass demokratische Prinzipien die wechselseitige Anerkennung der Menschen und den Respekt der Mitmenschen in ihrer Subjektivität und Eigenheit gewährleisten. Das bringen die Gläubigen nicht mit der Verfasstheit der katholischen Kirche zusammen. Sie fragen legitimerweise, warum die katholische Kirche hinter einer solchen Sozial- und Verfassungsgestalt zurückbleibt.
Die Behauptung, demokratische Entscheidungsfindung sei der katholischen Kirche wesensfremd, ist schlicht falsch. Sie hat beispielsweise bei Konzilsentscheidungen immer Mehrheiten als Mittel zur Wahrheitsfindung eingesetzt. Die jetzt anstehende demokratische und partizipative Ausrichtung ist kein Bruch mit der katholischen Tradition. Es wäre eine Veränderung der kontingenten institutionellen Form der Kirche. Die Kirche steht immer in einem konkreten gesellschaftlichen und geschichtlichen Kontext und hat sich dort zu bewähren.[1] Die kontingente Gestalt der Kirche muss sich auch aus theologischen Gründen immer wieder ändern. Faktisch hat die Kirche immer wieder von den soziologischen Strukturen der Welt gelernt. Deshalb ist der jetzt mögliche Lernprozess angesichts der Demokratie auch nicht einfach eine Anbiederung oder Anpassung an einen flüchtigen Zeitgeist. Inhaltliche, strukturelle und funktionale Entsprechungen zu demokratischen Prinzipien und Verfahren sind im theologischen Selbstverständnis und der Sozialgestalt der Kirche durchaus möglich. Bei den Überlegungen zur konkreten Umsetzung der Synodalität in der Kirche geht es um diese kontingenten Strukturen der Kirche als eines sozialen Gebildes. Gemeint sind Strukturen, die sich die Kirche als soziale Institution geben muss. Es geht um Formen der Gewaltenteilung, die es ermöglichen, Macht zu kontrollieren und zu beschränken. Diese wären möglich, ohne eine Autorität zu leugnen, die mit verbindlichem Anspruch auftritt.[2]
Auch Bischof Bätzing, der derzeitige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, spricht ausdrücklich davon, dass der Glaubenssinn der Gläubigen auch in den kirchlichen Strukturen zur Geltung kommen muss. Dabei seien Beratungs- und Entscheidungsprozeduren in Entsprechung zu demokratischen und parlamentarischen Regelungen möglich.[3] Wenn Entscheidungen am Ende eines Prozesses in synodalen Gremien gefällt werden, dann könnte dies nach Bätzing auch als ein Heilmittel gegen Klerikalismus wirken.
Derzeit arbeitet der Synodale Ausschuss daran, ein repräsentatives Gremium vorzubereiten und einzurichten, in dem alle, die gemeinsam Kirche sind, zusammen beraten und entscheiden. Hier würden partizipative Gestaltung und gemeinsame Entscheidungsfindung in der Kirche umgesetzt. Die Bischöfe könnten sich in Form einer Selbstverpflichtung an die Beschlüsse dieses Gremiums binden. Auf diese Weise bliebe die bischöfliche Entscheidungsvollmacht erhalten. Eine solche Umsetzung demokratischer Mitbestimmung und Machtkontrolle in Verbindung mit der freiwilligen Selbstbindung der Diözesanbischöfe an die Beschlüsse eines solchen Gremiums wäre auf der Grundlage des geltenden Kirchenrechts möglich.[4]
Der Sinn des Ringens um Synodalität besteht darin, die Strukturen der Macht in der katholischen Kirche zu ändern. Menschenrechte werden in der Kirche erst Realität, wenn eine solche Demokratisierung in der katholischen Kirche stattfindet und die feudalen oder absolutistischen Machtstrukturen aufgegeben werden. Zu einer solchen Teilhabe aller an den Entscheidungen gehört dann selbstverständlich auch ein Einsatz für Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit. In diesem Sinne ist eine Demokratisierung der Kirche und ihrer Prozesse überfällig. Es wäre auch eine wichtige Parteinahme in den aktuellen Auseinandersetzungen für die Demokratie und gegen die autokratischen Tendenzen.
Es braucht mehr Demokratie in der römisch-katholischen Kirche. Das ist möglich, ohne die Souveränität des Diözesanbischofs infrage zu stellen. Eine Synodalität, die Elemente demokratischer Entscheidungsfindung enthält, bleibt durchaus unterscheidbar von säkular-demokratischen Verfahrensweisen. Wenn der Kirche die Unvertretbarkeit der Person wirklich wichtig ist, dann gilt es jetzt, die Kirche ernsthaft als Forum partizipatorischer Kommunikation zu verwirklichen.
Fußnoten
↑1 | Vgl. Arnd Küppers/Ursula Nothelle-Wildfeuer (2024): Synodalität – Eine Frage der Glaubwürdigkeit der Kirche, Kirche und Gesellschaft Nr. 511, S. 12. |
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↑2 | Vgl. ebenda S. 13; auch: Daniel Bogner (2023): Souverän unsouverän, in: Herder Korrespondenz 6/2023, 20–22, S. 22. |
↑3 | Vgl. Georg Bätzing (2024): Synodalität: Anmerkungen zu einer produktiv-kreativen Auseinandersetzung von konkretem Christsein, in: Koller/Schlögl-Flierl (Hrsg.): Moraltheologie und sensus fidelium, Jahrbuch für Moraltheologie Bd. 8, 90–97, S. 94 f. Vgl. zum Glaubenssinn (sensus fildelium) als Grundlage für demokratische Verfahren in der katholischen Kirche Julia Knop (2020): decision making – decision taking, Partizipation und Synodalität in katholischer Ekklesiologie, in: Zeitschrift für Pastoraltheologie 40, 7–18. |
↑4 | Man muss allerdings die Kritik ernst nehmen, dass eine wirkliche Machtkontrolle durch die Rechtsfigur der freiwilligen Selbstbindung nicht möglich ist. Vgl. Bogner, Fn. 2, S. 21. |
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