2G-Plus-Regel ist nicht kompatibel mit den Schabbat-Vorschriften

03. 01. 2022
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Das Robert-Koch-Institut hat am 21. Dezember 2021 u. a. auch für G’ttesdienste die Einführung der 2-G-Plus-Regel empfohlen. Diese lebensrettende Regelung ist grundsätzlich mit dem jüdischen Recht vereinbar und wird auch in vielen jüdischen Gemeinden bereits im Alltag praktiziert. Doch am Schabbat würde eine ausnahmslose 2-G-Plus-Regel die Ausübung der religiösen Pflichten hemmen und traditionelle Juden und Jüdinnen vom Gebet ausschließen.

Das Robert-Koch-Institut hat am 21. Dezember 2021 u. a. auch für G’ttesdienste die Einführung der 2-G-Plus-Regel empfohlen.[1] Diese Regelung, die letztlich der Rettung von Menschenleben (Hebr. Pikuach Nefesch) dient, ist grundsätzlich mit dem jüdischen Recht vereinbar und wird auch in vielen jüdischen Gemeinden bereits im Alltag praktiziert.

Allerdings kann sie nicht am Schabbat, also am Freitagabend beziehungsweise Samstag, ausnahmslos gelten, da sie sonst orthodoxe und traditionelle Gemeindemitglieder vom Besuch der Gebete ausschlösse. Das wäre jedoch angesichts der aktuellen Situation unverhältnismäßig.

Religiöse Pflichten am Schabbat

Zur Einhaltung des Schabbats sind unter anderem das dreimalige gemeinsame Gebet, der gemeinsame Segen über Wein und Brot (Kiddusch) und das – in der Regel dreimalige – gemeinsame Essen erforderlich. Ferner besteht die Verpflichtung zum Lesen des Wochenabschnitts aus einer Thorarolle, die nur in der Gegenwart eines Minjan, also eines Quorums von insgesamt mindestens zehn Männern, erfüllt werden kann.[2] Ferner wird der Schabbat nach traditioneller Auffassung durch das Verbot von insgesamt 39 Werktätigkeiten geprägt, darunter fallen das Verbot, am Schabbat zu schreiben, Dinge aus einem Bereich in einen anderen zu tragen und das Verbot der aktiven Nutzung von Elektrizität.[3]

Kein Mitbringen der Testbescheinigung in die Synagoge am Schabbat

Die Problematik der 2-G-Plus-Regel besteht zunächst darin, dass ein aktueller Corona-Test vorliegen muss, der nicht älter als 24 Stunden sein darf. Eine Bescheinigung über das Ergebnis kann aber nach dem Beginn des Schabbats nicht mehr zum Gebet mitgebracht werden.

Der Grund hierfür ist das grundsätzliche Verbot, am Schabbat Dinge aus einem privaten Bereich in einen anderen, insbesondere einen öffentlichen Bereich zu tragen. Hiervon ausgenommen sind grundsätzlich nur Kleidungsstücke und Schmuck. Die Rechtfertigung einer Ausnahme von diesem Verbot durch die Grundsätze von Pikuach Nefesch und Dina deMalchuta Dina (Das Recht des Staates ist Recht. – also die Anerkennung des staatlichen durch das jüdische Recht) ist nicht möglich, da keine staatliche Verpflichtung zum Verlassen des Hauses oder zum Mitführen eines aktuellen negativen Corona-Tests besteht. Bei der Stellungnahme des Robert-Koch-Instituts handelt es sich nur um eine Empfehlung, also gerade um kein Recht.

Die Nichtbeachtung eines Verbotes wiegt religionsrechtlich besonders schwer. Führt eine jüdische Gemeinde eine Pflicht zur Vorlage eines aktuellen negativen Corona-Tests ein, läuft sie Gefahr, die Beter und Beterinnen dazu zu verleiten, ein Schabbatverbot zu übertreten, so dass sich die Frage nach der religionsrechtlichen Mitverantwortung der Gemeinde stellt.

Keine Testung vor Ort

Die Durchführung eines Corona-Tests in der Gemeinde am Schabbat scheitert daran, dass die meisten Handlungen, die mit dem Test zwingend verbunden sind, am Schabbat verboten sind. Insbesondere wäre auch die notwendige schriftliche Dokumentation am Schabbat selbst untersagt.

Zu Durchführung und Vorlage eines Corona-Tests vor Schabbat-Beginn

Denkbar wäre, einen Corona-Test vor Schabbatbeginn durchzuführen und die Bescheinigung hierüber vorab bei der jüdischen Gemeinde abzugeben beziehungsweise diese per E-Mail zu senden. Diese Möglichkeit existiert für traditionelle, insbesondere auch berufstätige Juden und Jüdinnen jedoch faktisch nicht. Im Judentum beginnt der Schabbat mit dem Sonnenuntergang. Dieser ist zurzeit – je nach Wohnort – in Deutschland zwischen 15.00 und 16.00 Uhr. Ab diesem Zeitpunkt gelten die 39 Werkverbote, die unter anderem das Kochen etc. beinhalten. Das bedeutet, dass die gesamte Vorbereitung für Schabbat bis zu dieser Uhrzeit erfolgen muss: Einkaufen, Kochen, Backen, Putzen, ggf. außerhäusige Arbeit, Abholen der Kinder vom Kindergarten, Duschen, Umziehen für Schabbat etc.

Für viele traditionelle Familien und Berufstätige ist es bereits eine Herausforderung, die normalen Vorbereitungen bis zum Sonnenuntergang zu treffen. Die Anforderung, zusätzlich noch in ein offizielles Corona-Testzentrum zu gehen, dort die ganze Familie testen zu lassen, auf die Ergebnisse zu warten und die Bescheinigungen rechtzeitig bei der jüdischen Gemeinde in Papierform oder digital abzugeben – in der Regel schließen die Gemeindebüros am Freitag gegen 12 Uhr, um ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen die Wahrung des Schabbats zu ermöglichen – ist nicht realistisch und letztlich nicht zu leisten.

Abwägung

Die zwingende Vorlage eines aktuellen Tests würde traditionelle Juden und Jüdinnen vom Gebet ausschließen und ihnen die Erfüllung einer wesentlichen religiösen Pflicht unmöglich machen. Die Verpflichtung zum gemeinsamen Gebet hat einen besonders hohen Rang im traditionellen Judentum. Das Ausweichen auf einen virtuellen Minjan ist nicht möglich, da sich nach der herrschenden Auffassung beim Gebet alle zehn Männer im selben Raum aufhalten müssen,[4] und das Gebet grundsätzlich an die Synagoge gebunden ist.[5] Diese Lösung scheidet auch bereits deshalb aus, weil am Schabbat die aktive Nutzung von Elektrizität verboten ist.

Angesichts dieses Sachverhalts wäre die Einführung der 2-G-Plus-Regel am Schabbat in der aktuellen Situation unverhältnismäßig.

Fußnoten

Fußnoten
1 Vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Downloads/control-covid-2021-12-21.pdf?__blob=publicationFile, (zuletzt abgerufen: 23.12.2021).
2 Für die Verpflichtung zum Gebet mit einem Minjan vgl. Babylonischer Talmud, Berachot 6a. Rambam, Mishneh Tora, Hilchot Tefilah 8:4.
3 Vgl. 2. Buch Mose (Schemot/Exodus) 31, 13 und 15 sowie 35, 2-3; für eine Liste der 39 Werktätigkeiten vgl. Mischna, Schabbat VII, 2.
4 Vgl. die Diskussion im Babylonischen Talmud, Eruvin 92a/b. Vgl. auch Josef Karo, Schulchan Aruch, Orach Chaim 55:13 ff. Für das Erfordernis, dass alle zehn Männer am selben Ort sind vgl. auch Rambam, Mishneh Tora, Hilchot Tefilah 8:7.
5 Vgl. Babylonischer Talmud, Berachot 6a. Vgl. auch Rambam, Mishneh Tora, Hilchot Tefilah 8:5.

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