Neue Koalition gegen Antisemitismus?

22. 12. 2021
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Der Koalitionsvertrag ist veröffentlicht und die neue Bundesregierung bereits vereidigt. Wird die neue Koalition die Erwartungen der in Deutschland lebenden Juden erfüllen können? Wie positioniert sich die neue Regierung? Hat das Diktum von der deutschen Staatsräson, wenn es um Israels Sicherheit geht, auch in der Post-Merkel-Ära noch Gültigkeit?

Gesellschaftliche Krisen sind für Minderheiten immer gefährlich. Corona ist eine Krise und Antisemiten radikalisieren sich. Die meisten Deutschen aber werden weder rassistisch noch antisemitisch bedroht, weshalb beide Themen auch im Wahlkampf so gut wie keine Rolle spielten. Dabei wäre es eine gute Gelegenheit gewesen, Haltung und Solidarität zu zeigen. Auch mit dem jüdischen Staat. Selbst auf die Gefahr hin, Wählerstimmen zu verlieren. Immerhin geht es nicht um eine Minderheit, sondern um unser demokratisches Miteinander.

Und wer Antisemitismus bei der jeweils eigenen politischen Klientel übersieht oder verharmlost, stärkt den Judenhass und schwächt die Demokratie. Nötig ist der Mut für unbequeme Debatten und konkretes Handeln.

Juden sind wie früher die Kanarienvögel im Bergbau. Sie haben ein feines Gespür dafür entwickelt, wenn die politische Luft dünn wird. Der Demokratie geht der Sauerstoff aus, wenn wir nicht ehrlich und respektvoll miteinander streiten. Dabei gilt: Vorsicht vor falschen Freunden! Entsprechend haben alle jüdischen Organisationen vor der Wahl vor der AfD gewarnt. Vor einer Partei, „in der Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit ihren Nährboden finden“. Sie haben sich dagegen verwahrt, als „Feigenblatt für antimuslimische Parolen“ zu dienen. Gerade Juden wissen aus eigener Erfahrung, was es heißt, fliehen zu müssen, und dass Fremdenfeinde immer auch Judenfeinde sind, selbst wenn viele der Fremden Antisemitismus im Fluchtgepäck mitgebracht haben. Der Feind meines Feindes nämlich kann durchaus auch mein Feind sein. Judenfeindschaft ist in vielen Milieus, Ideologien und Religionen zu Hause – quer durch das politische Spektrum. Und das gilt es endlich offen auszusprechen. Beispiel Hagen, jene Stadt, in der aus Solidarität mit der israelischen Zivilbevölkerung während des Raketenterrors aus Gaza erst die Israelflagge auf dem Rathaus gehisst und dann aus Angst vor der Wut junger Muslime rasch wieder eingeholt wurde. Ausgerechnet auf die Hagener Synagoge plante ein junger Syrer offenbar zwei Jahre nach dem Anschlag eines rechtsradikalen Attentäters auf die Synagoge in Halle in diesem Jahr zu Jom Kippur ein Attentat. Was für die meisten nicht mehr als eine Schlagzeile war, hat für deutsche Juden einmal mehr die existenzielle Frage nach der eigenen Zukunft aufgeworfen. „Ist das mein Land? Will ich bleiben?“, fragte sich ein Kölner Gemeindemitglied am Tag des vereitelten Anschlags in Hagen in der ARD. Er fragte es ruhig und ernst. Welche Antwort er sich geben wird, sagt nicht nur etwas über ihn, sondern vor allem über Deutschland aus.

Und weil das Hierbleiben eben nicht selbstverständlich ist, ist Außenpolitik für Juden immer auch Innenpolitik. Deshalb ist es besorgniserregend, dass auch Außenpolitik im Wahlkampf kaum vorkam. Der Wahlkampf ist vorbei, die neue Regierung steht und im Koalitionsvertrag finden sich viele schöne Sätze, auch das so wichtige Bekenntnis zur Sicherheit Israels als deutscher Staatsräson. Es ist beruhigend, dass die Ampelkoalition offenbar in diesem Punkt für die Kontinuität Merkelscher Außenpolitik steht und diese sogar verstärken will: „Die anhaltende Bedrohung des Staates Israel und den Terror gegen seine Bevölkerung verurteilen wir“, heißt es im Koalitionsvertrag. Die Ampel-Parteien möchten sich zudem „gegen Versuche antisemitisch motivierter Verurteilungen Israels, auch in den VN“ stark machen. Wird die neue Außenministerin Annalena Baerbock also endlich ausscheren beim notorischen Israel-Abstimmungs-Bashing?

Deutschlands Stimme hat Gewicht in Europa und in der Welt. Deutschlands Schweigen auch. In der Großen Koalition wurde vernehmlich geflüstert, wenn es um die Atompläne des Iran ging, und laut applaudiert, wenn die Führung in Teheran gnädig Gesprächsbereitschaft signalisierte und sich ein mögliches Ende der Wirtschaftssanktionen und damit Exportchancen für deutsche Unternehmen abzeichneten. Die neue Regierung fordert, dass der Iran „zur vollständigen und dauerhaften Einhaltung seiner Verpflichtungen gegenüber der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) zurückkehren“ müsse und stellt fest, dass die „Bedrohung des Staates Israel, das Raketenprogramm, die aggressive Regionalpolitik und Aufrüstung sowie die Unterstützung terroristischer Aktivitäten […] Frieden und Sicherheit massiv [gefährden].“ Stimmt – und was folgt jetzt daraus? Gerade erst hat der Iran seine Absicht, Israel auszulöschen, politisch folgenlos bekräftigt. Seit Jahrzehnten erleben Juden in Deutschland die Diskrepanz zwischen schönen Worten und hässlichem Nichtstun.

Dem jüdischen Leben in Deutschland ist im Koalitionsvertrag sogar ein eigener Abschnitt gewidmet. Danach sollen jüdisches Leben in Deutschland „in seiner Vielfalt“ gefördert, „alle Formen des Antisemitismus“ bekämpft und der Schutz von Jüdinnen und Juden und ihren Einrichtungen gemeinsam mit den Ländern gewährleistet werden. Auch die „Prävention, sensibilisierende Aus- und Fortbildungen sowie eine entschlossenere Verfolgung und Dokumentation antisemitischer Vorfälle“ und die Erinnerung an den Holocaust sehen die Koalierenden ausdrücklich als ihre Aufgabe. All das ist wichtig und eigentlich selbstverständlich. Es droht aber zu hohlem Pathos zu werden, wenn es sich nicht in konkretes Handeln übersetzt. Die über 220.000 jüdischen Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion werden bislang nur mit schönen Worten abgespeist. Ein Drittel von ihnen wird im Alter auf Grundsicherung angewiesen sein, weil ihre Arbeit, anders etwa als bei deutschen Spätaussiedlern, nicht respektiert und bei der Rente nicht angerechnet wird. Die von den Grünen und der FDP in der Vergangenheit geforderte Rentenangleichung für jüdische Zuwanderer wird im Koalitionsvertrag nicht erwähnt. Stattdessen möchten die Koalierenden lediglich „den geplanten Fonds aus der 19. Wahlperiode zur Abmilderung von Härtefällen aus der Ost-West-Rentenüberleitung auch für jüdische Kontingentflüchtlinge und Spätaussiedler“ umsetzen; eine billige Einmalzahlung. Es soll also weiterhin keine rentenrechtliche Gleichstellung mit der Gruppe der Spätaussiedler und damit ausreichende Alterssicherung jüdischer Zuwanderer geben? Egal welche Partei der Ampelkoalition für diese beschämende Almosenhaltung verantwortlich zeichnet – das darf so nicht bleiben!

 

Dieser aktualisierte Beitrag erschien in seiner Ursprungsfassung unter dem Titel „Woran wir sie messen“ in der Jüdischen Allgemeinen am 30.09.2021.

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