Zur Entscheidung der Katholiken für eine Beteiligung am trägerpluralen Religionsunterricht in Hamburg

28. 07. 2022
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Nach einem dreijährigen Modellversuch zur „Konfessionellen Kooperation im trägerpluralen Religionsunterricht für alle“ verkündete Erzbischof Dr. Heße in einer Pressekonferenz am 28.04.2022 seine Entscheidung für eine Beteiligung der katholischen Kirche an dem einzigartigen Format RUfa 2.0. Der ebenfalls anwesende Schulsenator Rabe bezeichnete diese Entscheidung als Erdbeben.

Wie gestaltete sich die Situation des Religionsunterrichts in Hamburg bis 2019?

Der Religionsunterricht in der Freien und Hansestadt Hamburg wurde bis Ende November 2019 nach Art. 7 Abs. 3 GG in Verantwortung der evangelischen Kirche erteilt. Mitte der 1990er Jahre hatte die damalige Nordelbische Kirche wegen der zunehmenden religiösen Pluralität der Hamburger Schüler_innenschaft ihren Religionsunterricht für alle Schüler_innen geöffnet. Der Unterricht wurde dialogisch angelegt. Inhalte wurden im Gesprächskreis „Interreligiöser Religionsunterricht“ mit Vertreter_innen anderer Religionsgemeinschaften ausgehandelt. Die Lehrkräfte traten als Moderator_innnen des interreligiösen Dialogs auf. Da die evangelische Kirche ihre Lehrkräfte in Hamburg nicht vozierte, wurden an den Schulen auch Lehrkräfte anderer Konfessionen oder Religionen eingesetzt; oder Klassenlehrkräfte unterrichteten das Fach fachfremd.

Das Erzbistum Hamburg konzentrierte sich auf den katholischen Religionsunterricht. Traditionell meldeten katholische Eltern ihre Kinder auf einer der 21 katholischen Schulen an. Dort sind inzwischen allerdings nur noch ca. 57 % der rund 6000 Schüler_innen katholisch. Seit den letzten dreißig Jahren besucht der weitaus größere Teil aller katholischen Kinder und Jugendlichen – nämlich ca. 24.000 Schüler_innen – eine der öffentlichen Schulen.

Der Versuch, die katholischen Schüler_innen im öffentlichen Schulwesen über katholischen Religionsunterricht zu erreichen, scheiterte. Zwar war es nach dem Staatsvertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und dem Heiligen Stuhl aus dem Jahre 2005 möglich, an öffentlichen Schulen katholische Lerngruppen einzurichten. Das Angebot stieß allerdings neben dem „Religionsunterricht für alle“, der in der Regel im Klassenverband unterrichtet wurde, auf wenig Interesse. Bis zum Ende des Schuljahres 2019/20 gab es nur an drei Standorten katholische Lerngruppen.

Welche Motivation hatte das Erzbistum Hamburg, einen Einstieg in den „Religionsunterricht für alle“ (RUfa) zu überprüfen?

Nach den Staatsverträgen mit den muslimischen Verbänden, der alevitischen Gemeinde und der jüdischen Gemeinde im Jahre 2012 entwickelte die Nordkirche ihren RUfa weiter. Zusammen mit der Stadt Hamburg und den drei anderen Religionsgemeinschaften erprobte sie einen „Religionsunterricht für alle in gleichberechtigter Verantwortung“ (RUfa 2.0).

Mit Interesse verfolgte das Erzbistum Hamburg die didaktische Weiterentwicklung des Faches, das neben evangelischen Religionslehrkräften nun auch muslimische, alevitische oder jüdische Lehrkräfte unterrichten konnten. Dadurch werden Fachschaften zukünftig multireligiös zusammengesetzt sein. Religionsspezifische Phasen werden Schüler_innen eine Auseinandersetzung mit der eigenen Religion bzw. Konfession ermöglichen. Lehrkräfte positionieren sich. Im Idealfall könnten katholische Schüler_innen im Unterricht einer der 100 katholischen Religionslehrkräfte begegnen, die katholisches Christentum aus der Binnenperspektive vermitteln.

Eine Chance, den Gesprächsfaden mit der Nordkirche und der Schulbehörde aufzunehmen, ergab sich, nachdem die Nordkirche im Jahre 2018 eine Vokationsordnung erlassen hatte, nach der nur noch beauftragte Religionslehrkräfte in dem Fach Religion eingesetzt werden konnten. Ein Dilemma für ca. 100 katholische Lehrkräfte mit der Fakultas für Religion: Weil das Erzbistum Hamburg den RUfa nicht mitverantwortete, konnte ihre Beauftragung durch den Erzbischof nicht anerkannt werden. Gleichzeitig würden diese Lehrkräfte fehlen, um den Bedarf an den Schulen zu decken.

Um eine Lösung für die katholischen Religionslehrkräfte zu finden, prüfte das Erzbistum Hamburg zusammen mit der Nordkirche und der Schulbehörde in einem dreijährigen Modellversuch, inwiefern durch konfessionelle Kooperation im „trägerpluralen Religionsunterricht für alle“ den kirchlichen Normen für katholischen Religionsunterricht Genüge getan und die katholische Perspektive des Christentums authentisch in das Fach eingebracht werden könnte.

Unter wissenschaftlicher Begleitung von Prof. Dr. Jan Woppowa (Universität Paderborn) unterrichteten fünf katholische und fünf evangelische Religionslehrkräfte nach einer Qualifizierung an ausgewählten Schulen den „Religionsunterricht für alle“ und brachten christliche Inhalte in konfessioneller Kooperation ein. Dazu überarbeiteten sie das vorhandene Unterrichtsmaterial des RUfa 2.0. Die katholischen Lehrkräfte brachten ihr katholisches Christentum ein, und die evangelischen Lehrkräfte bewerteten die neue katholische Perspektive als Bereicherung. Alle sprachen sich für eine Beteiligung der Katholik_innen aus.

Welche Ergebnisse hat der Modellversuch „Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht für alle“ erbracht?

In Expert_innengesprächen, Symposien und wissenschaftlichen Gutachten wurden Rahmenbedingungen sowie zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten des katholischen Religionsunterrichts differenziert beleuchtet und ausgelotet. Der Blick richtete sich vor allem auf den Aspekt, inwiefern es gelingen kann, den mehr als 24.000 katholischen Schüler_innen im öffentlichen Schulwesen eine differenzierte Auseinandersetzung mit den spezifischen Inhalten ihres Bekenntnisses zu ermöglichen.

Die bisher verantwortlichen Religionsgemeinschaften warben um die Beteiligung des Erzbistums. In der Zeit des Modellversuchs hatten die Katholik_innen Gaststatus in der RUfa-Kommission, dem entscheidenden Gremium der beteiligten Religionsgemeinschaften und der Schulbehörde. Auf diese Weise wurden sie in alle laufenden Prozesse, wie die Gestaltung der neuen Rahmenpläne, miteinbezogen.

Unabhängig voneinander empfahlen Religionspädagog_innen weit über die Grenzen des Erzbistums hinaus eine Beteiligung der Katholik_innen an diesem bisher einzigartigen trägerpluralen Format.

Woppowa bewertete das Format in seiner gutachterlichen Stellungnahme schließlich positiv. Er begründet dies religionspädagogisch, weil

  • die didaktischen Grundsätze des RUfa 2.0 den kirchlichen Normen, Zielen und Aufgaben eines schulischen Religionsunterrichts gerecht werde und
  • der curriculare Rahmen des RUfa hinreichend Möglichkeiten biete, das Christentum konfessionsbewusst und differenzsensibel zu repräsentieren.

Die theologische Begründung seiner positiven Bewertung findet Woppowa in der komparativen Theologie, deren religionsübergreifende Ziele und Grundhaltungen Grundlagen biete für die Bildungs- bzw. Dialogziele und die entsprechenden professionellen Haltungen im RUfa.

Gleichzeitig plädiert Woppowa für eine wissenschaftliche Begleit- und Wirksamkeitsforschung hinsichtlich der Bildungseffekte in den besonders anspruchsvollen unterrichtlichen Settings.

Außerdem sollten alle beteiligten Religionsgemeinschaften Qualifizierungen der Religionslehrkräfte verabreden und Angebote zur Entwicklung und Vertiefung der je eigenen Spiritualität schaffen.[1]

Welche Auswirkungen hat der Einstieg in den RUfa 2.0 auf den Religionsunterricht an den katholischen Schulen in Hamburg und auf den katholischen Religionsunterricht in den anderen Bistumsregionen?

Katholischer Religionsunterricht bleibt an den katholischen Schulen ein verbindliches Unterrichtsfach, das bis zum Schulabschluss zweistündig unterrichtet wird.

Perspektivisch kann es wegen des wachsenden Anteils evangelischer und orthodoxer Schüler_innen an einzelnen Standorten eine Entwicklung zu Religionsunterricht in konfessioneller Kooperation geben.

Die konfessionelle Kooperation im trägerpluralen Religionsunterricht im öffentlichen Schulwesen hat in Hamburg allerdings Laborcharakter. Das Format ist in Flächenländern kaum zu organisieren. Insofern besteht keine Absicht zur Übertragung des RUfa 2.0 auf die anderen Bistumsregionen.

In Schleswig-Holstein und Mecklenburg ist das Erzbistum Hamburg mit der Nordkirche im Gespräch, um im Sinne des Dokuments „Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts“[2] eigene kontextuelle Formate zu entwickeln.

Fußnoten

Fußnoten
1 Siehe die vollständige gutachterliche Stellungnahme von Woppowa, Jan (2022): Konfessionsbezogene Differenzsensi-bilität im Religionsunterricht für alle, unter: https://digital.ub.uni-paderborn.de/hs/content/titleinfo/6522351 (abgerufen am 27.07.2022).
2 Die deutschen Bischöfe (2016): Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts. Empfehlungen für die Koopera-tion des katholischen mit dem evangelischen Religionsunterricht, Bonn.

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