Zwischen Ankunft und Argwohn – Muslimisches Leben in Deutschland

28. 10. 2025

Menschen islamischen Glaubens leben seit über sechs Jahrzehnten in Deutschland – zuerst als Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter und dann als Unternehmerinnen und Unternehmer sowie als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Sie sind tief in der Gesellschaft verwurzelt, und dennoch sind sie bis heute häufig Gegenstand politischer Debatten, medialer Stereotype und sicherheitspolitischer Maßnahmen. Was bedeutet es, muslimisch und deutsch zu sein – und warum gilt diese Kombination für viele noch immer als erklärungsbedürftig?

Die erste Generation von Musliminnen und Muslimen, die in den 1960er-Jahren nach Deutschland kam, erhielt den Status „Gastarbeiter“. Damit war die Vorstellung – und oft auch der Wunsch – verbunden, dass diese Menschen nach dem Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes in ihre Herkunftsländer zurückkehren würden. Auch viele Musliminnen und Muslime sahen sich selbst in dieser Rolle: hart arbeiten, gutes Geld verdienen und in der Heimat ein besseres Leben aufbauen.

Doch die ursprünglich als temporär gedachte Migration entwickelte sich zu einer dauerhaften Ansiedlung, auf die weder die deutsche Politik noch die Gesellschaft vorbereitet war. Heute leben Musliminnen und Muslime als deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger mit islamischem Glauben in Deutschland. Sowohl als Einzelpersonen als auch in Form muslimischer Organisationen engagieren sie sich aktiv in der Zivilgesellschaft und sind in vielfältigen beruflichen Bereichen tätig.

Ihre soziale und kulturelle Vielfalt bleibt jedoch häufig unbeachtet. Sie stammen aus unterschiedlichen Kulturen mit jeweils eigenen religiös-kulturellen Prägungen, werden aber oft pauschal als eine homogene Gruppe „der Muslime“ wahrgenommen. In dieser neuen Heimat suchen sie ihre individuelle und kollektive Identität – zwischen Zugehörigkeit und Fremdzuschreibung.

Zwischen Zugehörigkeit und Ausgrenzung 

Die Identitätsfindung von Musliminnen und Muslimen in Deutschland bewegt sich oft im Spannungsfeld zwischen Zugehörigkeit und Ausgrenzung. Nicht selten wird der Islam als „Problemreligion“ wahrgenommen und als unvereinbar mit westlichen Werten dargestellt. Infolgedessen werden Menschen islamischen Glaubens häufig mit Misstrauen betrachtet.

Für die meisten Musliminnen und Muslime spielt die Religion eine zentrale Rolle im Alltag – und ist damit auch sichtbar im öffentlichen Raum. Dies steht jedoch keineswegs im Widerspruch zum Leben in einer säkularen Gesellschaft. Gerade eine solche Gesellschaft garantiert ihren Bürgerinnen und Bürgern die freie Wahl der Lebensweise, Weltanschauung und Religiosität – Aspekte, die wesentlich zur Sozialisation und Identitätsbildung beitragen.

In diesem Zusammenhang bleiben zentrale Fragen zur Zukunft von Musliminnen und Muslimen in Deutschland offen – Fragen, die klar und ehrlich beantwortet werden müssen:

Seitens der Musliminnen und Muslime stellen sich zentrale Fragen: Können sie sich dauerhaft in einer Gesellschaft zu Hause fühlen, die nicht in allen Bereichen ihren eigenen Wertevorstellungen entspricht? Sind sie bereit, ihre eigene Lebensweise kritisch zu reflektieren und sich von bestimmten religiösen Traditionen zu lösen, wenn diese ein Hindernis für das Ankommen und die Integration darstellen? Können sie die säkularen Rahmenbedingungen der Gesellschaft akzeptieren und sich innerhalb dieser aktiv einbringen?

Auch die Gesamtgesellschaft steht vor wichtigen Fragen: Ist sie bereit, Musliminnen und Muslime als gleichwertigen Teil der Gesellschaft anzuerkennen – nicht nur zu tolerieren oder zu dulden, sondern ihnen tatsächlich die gleichen Chancen einzuräumen? Wird ihre Anwesenheit als Bereicherung und Chance wahrgenommen oder weiterhin als kollektive Bedrohung für die hart erkämpfte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit betrachtet? Werden praktizierende Musliminnen und Muslime nach ihrer Kompetenz und ihrem Beitrag beurteilt – und nicht nach ihrem Aussehen oder religiösen Merkmalen? Erhalten sie die Möglichkeit, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und dieses mitzugestalten?

Konkret richten sich diese Fragen auch an die Politikerinnen und Politiker, die die Möglichkeit haben – und sie auch nutzen –, die Gesellschaft zu sensibilisieren oder die Ängste und das Unbehagen der Menschen für ihre eigenen politischen Interessen zu instrumentalisieren. Die Politik trägt eine große Verantwortung und kann durch ihre Haltung und ihr Handeln sowohl positive als auch negative Signale setzen. Religiöse und kulturelle Unterschiede dürfen immer weniger als Gründe für Spaltung und Trennung dienen, wenn ihre Existenz in der Gesellschaft als berechtigt und selbstverständlich anerkannt wird. Dazu kann die Politik aktiv beitragen.

Was bedeutet das für unser Zusammenleben?  

Das Zusammenleben stellt eine Herausforderung dar, die nur mit Offenheit, Ehrlichkeit, Akzeptanz und Respekt gegenüber unterschiedlichen Lebensweisen sowie mit Vertrauen in den guten Willen und die guten Absichten aller Beteiligten gemeistert werden kann. Dies bedeutet jedoch nicht, die Augen vor der Realität zu verschließen oder die in der Gesellschaft vorhandenen negativen Absichten, Ideologien und destruktiven Kräfte zu leugnen. Vielmehr gilt es, diesen entschieden entgegenzutreten – auch das ist eine Aufgabe, die nur gemeinsam bewältigt werden kann.

Menschenfeindlichkeit und Rassismus sind tiefgreifende Probleme unserer Gesellschaft. Sie treffen vor allem jene Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft, Religion, Hautfarbe oder sexuellen Orientierung als Minderheiten wahrgenommen und als „nicht dazugehörig“ ausgegrenzt werden. Eine besondere Form betrifft Musliminnen und Muslime, die als kollektive Minderheit seit Jahren – insbesondere im Kontext politischer Entwicklungen im Nahen Osten – unter besonderer Beobachtung stehen.

Was kann getan werden?

Es bleibt unsere gemeinsame Aufgabe, wie wir mit den Herausforderungen in unserem Land umgehen und wie wir das Zusammenleben sowie die Einheit der Gesellschaft unter Berücksichtigung vielfältiger Lebensrealitäten gestalten wollen. Die politischen Debatten tragen zunehmend zur Spaltung bei – die Sprache ist rau, Diffamierungstendenzen erleben Hochkonjunktur. Gerade jetzt ist es unsere Verantwortung, uns einzubringen, den Fokus auf respektvolle Auseinandersetzungen und Empathie zu legen und den Blick für Diskriminierung und Ausgrenzung zu schärfen. Wir brauchen eine Streitkultur, die Unterschiedlichkeiten zulässt, Debatten sachlich und mit Gelassenheit führt – statt sich gegenseitig zu diffamieren und die Gesellschaft weiter zu polarisieren. Nicht die unterschiedlichen Lebensformen sind das Problem, sondern der Umgang mit ihnen.

Kommentare

Dieser Beitrag hat keine Kommentare.

Schreiben Sie einen Kommentar

Sie können gern den Beitrag kommentieren. Ihnen stehen maximal 600 Zeichen zur Verfügung. Die EIR-Redaktion behält sich die Veröffentlichung vor.

Datenschutz-Übersicht

Diese Website verwendet Cookies, damit wir Ihnen die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in Ihrem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von Ihnen, wenn Sie auf unsere Website zurückkehren, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für Sie am interessantesten und nützlichsten sind.