Otmar Oehring: Vom Museum zur Moschee

06. 11. 2021

Am 10. Juli 2020 wurde das ursprüngliche Museum Hagia Sophia für „gottesdienstliche Zwecke“ als Moschee in Istanbul geöffnet. War diese Maßnahme nur eine taktische Volte zur Ablenkung von innenpolitischen Problemen? Oder war sie ein weiterer Schritt hin zu einer auch nominell islamischen Türkei?

Die Hagia Sophia in Byzanz/Konstantinopel/Istanbul hat eine bewegte Geschichte. Von Anfang 532 bis Ende 537 errichtet, war sie bis 1054 der bedeutendste Kirchenbau der Römischen Reichskirche, von 1054 (Kirchenspaltung) bis 1204 eine orthodoxe Kirche, nach der Eroberung Konstantinopels während des vierten Kreuzzugs von 1204 bis 1261 eine katholische Kirche und nach der Rückeroberung durch die Byzantiner von 1261 bis 1453 eine griechisch-orthodoxe Kirche. Seit der Eroberung Konstantinopels durch Mehmet II. (1453) bis 1935 war die Hagia Sophia eine Moschee.

Am 24. November 1934 beschloss der Ministerrat der Republik Türkei die Umwandlung der Moschee in ein Museum. Dieser Beschluss wurde am 10. Juli 2020 um 14.53 Uhr (!) vom türkischen Staatsrat (Danıştay) aufgehoben. Staatspräsident Erdoğan ordnete daraufhin die Öffnung der Hagia Sophia für „gottesdienstliche Zwecke“ an. Am 24. Juli 2020, dem Jahrestag der Unterzeichnung des aus Sicht türkischer Islamisten und Nationalisten „schändlichen“ Vertrages von Lausanne, hat erstmals wieder ein Freitagsgebet in der Hagia Sophia stattgefunden.

Politische Einordnung

War diese Maßnahme nur eine taktische Volte zur Ablenkung von innenpolitischen Problemen? Oder war sie ein weiterer Schritt hin zu einer auch nominell islamischen Türkei? Wenn man die Umwandlung der Hagia Sophia im Kontext der laizistischen Reformen Atatürks sieht, kann man das vermuten. Die Türkei wird zwar in Artikel 2 ihrer Verfassung als laizistischer Staat charakterisiert.

Und Artikel 174 der Verfassung besagt, dass keine Vorschrift der Verfassung in der Weise verstanden und ausgelegt werden darf, dass die Vorschriften der Reformgesetze, welche das Ziel haben, den laizistischen Charakter der Republik zu schützen, verfassungswidrig seien. Die Abkehr vom Laizismus hat allerdings bereits in den 1950er Jahren begonnen. Und der Islam ist de facto schon längst Staatsreligion geworden.

Zudem hat schon einmal, im April 2016, der damalige Parlamentspräsident Ismail Kahraman (AKP) gefordert, das Laizismus-Prinzip aus der Verfassung zu streichen [1] und eine Verfassung mit klarer islamischer Orientierung auszuarbeiten. Der Vorschlag wurde damals von der Opposition, aber auch aus der AKP, zurückgewiesen.

Reaktionen

Die mehrheitlich positiven Reaktionen in der Türkei konnten nicht überraschen, hatte doch schon in den letzten Jahren bei Umfragen eine Mehrheit die Möglichkeit der Umwidmung der Hagia Sophia begrüßt. Überraschender ist, dass auch ein Teil der Sympathisanten der nominell säkularen Oppositionsparteien CHP und HDP – ausdrücklich aber nicht die beiden Parteien selbst – die Umwandlung der Hagia Sophia unterstützten. Die hohen Zustimmungsraten dürften aber zumindest teilweise auch als Reaktion auf das negative Echo auf die geplante Umwidmung im Ausland zu werten sein. Gleichzeitig zeigen Umfragen, dass Teile der Bevölkerung das Ganze als ein Manöver ansehen, das von der verheerenden Wirtschaftslage und den nachhaltig sinkenden Zustimmungswerten für die AKP ablenken soll. Dazu passt der Vorwurf des früheren Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu, der Erdoğan zurief: „Hör auf, unsere heiligen Symbole als Ausweg zu nutzen, wenn du in der Klemme steckst. Die Hagia Sofia ist nicht Dein persönliches Druckmittel.“

Erfreulich war für Erdoğan sicherlich die Unterstützung – gleichwohl nicht ungeteilt – aus der islamischen Welt. Zustimmung gab es von den politischen Weggefährten der AKP – etwa der Hamas und der Muslimbruderschaft –, von Unterstützern der Türkei (Katar), Schuldnern (Somalia) und Verbündeten (Iran). Negative Reaktionen kamen von den Gegnern Ägypten, Saudi-Arabien und VAE. Der Großmufti Ägyptens, Shawki Allam bezeichnete die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee gar als unvereinbar mit dem Islam.

Wenig überraschend waren die Reaktionen der christlichen Kirchen. Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, einst Hausherr der Hagia Sophia, warnte, die Umwidmung der Kirche werde Millionen von Christen enttäuschen. Bislang ein wichtiges Zentrum der Begegnung von Ost und West, werde sie nun diese beiden Welten trennen. Und der Papst merkte an, er denke an die Heilige Sophia und es schmerze ihn sehr.

Aus der westlichen Welt hatte es schon im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Umwandlung der Hagia Sophia kritische Reaktionen und die Forderung gegeben, diese noch einmal zu überdenken.

Ausblick

Die Hagia Sophia ist nun Moschee, bleibt für Besucher aber geöffnet. Die Mosaiken bleiben sichtbar, sollen aber während der Gebetszeiten unsichtbar gemacht werden. Ob die Hagia Sophia auf der Liste des UNESCO-Welterbes verbleibt, wird sich zeigen.

Eine Frage der Religionsfreiheit war die Umwandlung der Hagia Sophia nicht, sondern zuallererst Symbolpolitik, vor allem für Erdoğans schwindende Klientel. Die Umwandlung wird als islamische Auferstehung, als Befreiung aus der Tyrannei der Kreuzfahrer gefeiert. Erdoğan selbst nannte sie einen Schritt auf dem Weg zur Befreiung der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem. Das ist auch als eine Machtdemonstration gegenüber dem Westen und eine Drohung gegenüber Israel zu verstehen. Dem müssen sich Deutschland und die EU stellen.

Denn aus der aktuellen Symbolpolitik könnte schon bald handfeste Religionspolitik werden, die das Verfassungsprinzip des Laizismus auch formal zur Disposition stellt. Spätestens dann sollte man sich an die Bedeutung der Kopenhagener Kriterien erinnern.

 

Dieser Beitrag erschien am 05. August 2020 als Erstveröffentlichung auf kas.de

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