Der Katholikentag ist auch politisch

19. 05. 2022
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Traditionell ist der Katholikentag ein großes Fest des Glaubens, der Diskussion und der Kultur. Das wird auf dem 102. Katholikentag vom 25. bis 29. Mai nicht anders sein. Ein Katholikentag ist zugleich ein Moment der Reflexion. So nehmen wir auch Themen in den Fokus, die durch Corona mehr Öffentlichkeit erfahren haben: Einsamkeit als gesellschaftliches Phänomen gehört genauso dazu wie häusliche Gewalt – zwei Beispiele für Themen, die in den 1.500 Veranstaltungen aufgegriffen werden.

Ein Katholikentag ist schließlich aber auch immer ein Spiegel seiner Zeit und greift aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen und Debatten auf. Dies ist wichtiger denn je. Denn unsere Zeit braucht unbedingt den öffentlichen Austausch, um über die vielen Krisen, die wir – individuell, als katholische Kirche und als Weltgemeinschaft – erleben, zu diskutieren: Corona schärft gesellschaftliche Verwerfungen und Konflikte, der russische Angriff auf die Ukraine stellt die Friedensordnung Europas in Frage und der unfassbare Missbrauchsskandal der katholischen Kirche bedarf weiterhin klarer Antworten und Positionierungen.

Ein Katholikentag ist also keine geschlossene Blase. Im Gegenteil suchen und ermöglichen wir den Dialog zwischen Politik und Zivilgesellschaft, zwischen Jung und Alt, zwischen der katholischen Basis und jenen, die die Kirche vertreten. Deshalb ist es wichtig, dass viele Politikerinnen und Politiker aus Brüssel, Berlin und den Bundesländern zugesagt haben und den Katholikentag auch als Forum für den Austausch über Religion, Gesellschaft und Politik nutzen. Während sich Populismus und Querdenkertum an den Grundpfeilern der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung zu schaffen machen, wollen wir vorleben, wie unter Einhaltung demokratischer Spielregeln kontroverse Debatten austragen werden.

Als Veranstalter ist das Zentralkomitee der deutschen Katholiken in einer besonderen Verantwortung: Wir kommen mit unseren eigenen Überzeugungen nach Stuttgart. Kirchenpolitisch werden wir deutlich markieren, wie wichtig uns die Veränderungen sind, die derzeit auf dem Synodalen Weg beraten werden. Sämtliche Themen des Reformprozesses, der die systemischen Ursachen des Missbrauchs in der katholischen Kirche aufgreift, werden auf Podien und in Werkstätten diskutiert. Macht, Priesterverständnis, Sexualmoral und die Rolle der Frau sind die Themen, zu denen die Delegierten auf dem Synodalen Weg noch bis März 2023 beraten und entscheiden werden. Stuttgart bietet uns folglich eine gute Zwischenetappe, um der Synodalversammlung ein Signal der Ermutigung und konstruktiven Kritik zuzurufen. Wir stellen uns auf der Kirchenmeile den Fragen und Meinungen der Teilnehmenden. Aber es geht auch um die Rolle Deutschlands in der Welt: Von Stuttgart aus wird eine Botschaft des Friedens und der Hoffnung in die Ukraine gesandt. Auf die Lage im Osten unseres Kontinents haben wir kurzfristig reagiert und weitere Veranstaltungen ins Programm aufgenommen.

Und schließlich erzeugen wir eine Sichtbarkeit für die katholische Zivilgesellschaft, die weiterhin – allen Krisen zum Trotz – für die Tat steht und dazu beiträgt, dass mit „Katholisch sein“ weiterhin auch ein positiver Impuls verbunden wird. Für mich gehört zu unserem diesjährigen Leitwort ein Ausrufezeichen: „leben teilen!“ ist ein Aufbruchssignal. Wir teilen Freude und Haltung, unterstreichen aber auch, dass nur durch die Zusammenarbeit die Welt ein besserer Ort wird: die Pandemie wird ohne Impfgerechtigkeit nicht besiegt, Armut ohne den Anspruch fairer und gerechter Lieferketten in einer globalisierten Welt nicht überwunden, die Demokratie ohne Zugang zu geteilten Informationen und Freiheiten nicht gestärkt. „leben teilen!“ bedeutet also nicht nur den Glauben zu feiern und zu reflektieren, es bedeutet auch sich mit Offenheit, Meinung und Debatte in die drängenden politischen und gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit einzubringen.

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