Stand und Perspektiven der Ausbildung religiösen Personals islamischer Gemeinden in Deutschland – Wo Religionsgemeinschaften und Staat zusammenkommen (Teil 1)

10. 07. 2025

Islamische Gemeinden in Deutschland haben eine lange Vergangenheit und sind eng mit der deutschen Geschichte verwoben. Mit der Präsenz von derzeit ca. 5,5 Mio. Musliminnen und Muslimen in Deutschland stellen sich heute mehr denn je Fragen in Bezug auf die Ausgestaltung der Zukunft innerhalb des etablierten Verhältnisses von Staat und Religion.

Moscheen als multifunktionale Orte muslimischen Lebens in Deutschland

Ein zentrales Element muslimischen Lebens und Ausgangs- und Mittelpunkt muslimischer Gemeinden in Deutschland sind die ca. 2600 Moscheen mit den hier angebotenen religiösen und sozialen Dienstleistungen. Die Gemeinden sind von unten heraus entstanden und selbst diejenigen, die religiöses Personal aus dem Ausland erhalten, finanzieren den Aufbau und Unterhalt der Gemeinden selbst. Die Erfüllung von Erwartungen der Gemeindemitglieder ist somit besonders wichtig für die Aufrechterhaltung des Gemeindelebens vor Ort. Da die Gemeinden theologisch-religionspraktische, pädagogische und soziale Aufgaben haben, werden auch entsprechende Qualifikationen benötigt. 

Eine große Verantwortung fällt hierbei dem Imam zu, der meist die erste und oft einzige bezahlte Person vor Ort ist. Auch wenn die ledigliche Durchführung der religiösen Praktiken auch von Laien geleistet werden kann, so setzt die Tätigkeit des Imams unter den Bedingungen etablierter Religionsgemeinschaften in Deutschland und den Erwartungen in der Gemeinde eine langjährige Ausbildung sowie regelmäßige Fortbildungen voraus. Denn zum einen soll der Imam die Gemeinde durch den religiösen Tag und den Jahreskalender führen, zum anderen sind die Gemeinden auch Orte der sozialen Verdichtung, d. h. sie haben vielfältige soziale Funktionen, die sie organisieren müssen. Diese müssen in der Ausbildung religiösen Personals für die Gemeinden auch jenseits der Imamfunktion mitgedacht werden.

Tätigkeitsfelder muslimischer Gemeinden in Deutschland 

Aus den zahlreichen geleisteten Arbeiten in den Gemeinden ergeben sich folgende Tätigkeitsfelder, die spezifische Qualifizierungen des religiösen Personals, ob im Haupt- oder Ehrenamt, erfordern:

1. Der religionspraktische Bereich

Die Bedienung dieses Bereichs stellt die zentrale Aufgabe einer Gemeinde dar. Die durchführende Person ist die erste (oft auch einzige) hauptberufliche Arbeitskraft. Zu den Tätigkeiten gehört die Durchführung aller regulären und saisonalen gottesdienstlichen Pflichten und kulturell-religiöser Rituale und Zeremonien (Tagesgebete, Freitagsgebete, Festgebete, Predigten, Totengebete). Auch Bildungsanteile für Kinder und Erwachsene sind eingeschlossen. Viele der Aktivitäten sind in allen Gemeinden vorhanden, je nach eigener Verortung können jedoch konfessionelle, sprachlich-kulturelle oder zeremonielle Unterschiede zwischen den Gruppen vorhanden sein. Beruflich sind hier der Imam und – wo vorhanden – weibliche Religionsbedienstete zu nennen.

2. Sozialer/pädagogischer Bereich

In den Moscheegemeinden werden auch soziale und pädagogische Dienstleistungen erbracht. Hierzu gehören: Religionsunterricht für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Jugendarbeit und Freizeitgestaltung, Beratung von Gemeindemitgliedern in sozialen Fragen, Seelsorge, Konflikt- und Familienberatung, Beantwortung religionsrechtlicher Fragen, Begleitung und Organisation von Wohltätigkeitsbasaren und anderen religiösen, kulturellen oder traditionellen Veranstaltungen. Hierfür ist eine Reihe von Kenntnissen notwendig. Teile davon fallen in den Bereich der religiösen Ausbildung. Dazu kommt eine pädagogische Qualifikation, wenn es um die Vermittlung von Wissensbeständen an unterschiedliche Zielgruppen geht. Teilweise sind auch sozialpädagogische Kenntnisse sowie ein Wissen um die Lebenswelten vor Ort und Beratung in sozialen Fragen erforderlich.

Die Beratung von Gemeindemitgliedern in Krisensituationen, religiös begründeten Gewissenskonflikten oder religionsrechtlichen Anliegen erfordert eine milieuspezifische kommunikative Kompetenz, Kenntnisse der Klientenorientierung, eigene Bewältigungsstrategien bei psychischer Belastung sowie Wissen um professionelle Seelsorge, ihre Möglichkeiten und Grenzen. Auch hier ist vorstellbar, dass Imame seelsorgerisch tätig sind; aber auch sind Seelsorgende denkbar, die nicht gleichzeitig in die religiöse Gemeindearbeit eingebunden sind. Der pädagogische Bereich kann „mitgemacht“ oder eben durch entsprechende Personen zielgruppengerecht gestaltet werden. Soziale Dienstleistungen erfordern ein hohes Maß an Wissen, das jenseits des religiösen, klassischen Ausbildungskanons steht. Dies kann durch Aus- und Weiterbildung erfolgen, den Einsatz extern qualifizierter Fachkräfte oder die Ausbildung von Ehrenamtlichen. 

3. Bereich der Außenbeziehungen

Eine Moscheegemeinde wirkt nicht nur innergemeindlich, sondern auch in ihr Umfeld, welches für sie eine Art Kontaktstelle ist. Durch ihre Vereinstätigkeit treten Gemeinden mit Behörden und der Zivilgesellschaft in Austausch, machen Öffentlichkeitsarbeit und gehen Kooperationen ein. Für solche Tätigkeiten braucht es Kompetenzen in Verwaltungsangelegenheiten, eine Kenntnis der lokalen Kontexte, religiöse Sprechfähigkeit auf Deutsch hinsichtlich des eigenen Islamverständnisses, Kenntnisse anderer Religionen und dialogische Grundkompetenzen (wie Haltung-, Wissen- und Handlungskompetenz). Auch für diese Arbeit muss qualifiziert werden.

Das Qualifikationsfeld ist sehr weit und reicht weit über das Bild „des Imams“, das die öffentlichen Debatten dominiert, hinaus.

Ausbildungswege im Spannungsfeld von Bedarf der Gemeinden und staatlicher Anerkennung

Auch lässt sich feststellen: In den Gemeinden werden viele Dienstleistungen nachgefragt und die Gemeinden haben ein langfristiges Interesse an dauerhaften Lösungen für die Ausbildung gut qualifizierten religiösen Personals in Deutschland. Hierzu ist eine Konzeption von Wegen ins berufliche Feld ebenso wichtig wie deren staatliche Anerkennung. So bringen die bisherigen Ausbildungswege in Deutschland Nachteile mit sich wie keine Ausbildungsförderung nach BAföG, kein Kindergeld, keine staatliche Anerkennung der erreichten Abschlüsse, Unklarheiten mit Blick auf die Anerkennung der Ausbildungszeiten für die Rente und mehr. Auch für den Staat bietet eine anerkannte Ausbildung Vorteile, wenn es um den Einsatz von Personen z. B. für Seelsorge im Bereich Krankenhaus, Bundeswehr oder Gefängnis geht.

Dieser Text entstand im Rahmen eines Vortrags anlässlich der Vorstellung der Handreichung der Deutschen Islam Konferenz „Die Anerkennung von Berufen und Ausbildungsgängen religiösen Personals islamischer Gemeinden“, herausgegeben vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2024. Der Publikation sind detaillierte Informationen zum Themenbereich aus Wissenschaft und Verwaltung zu entnehmen.

Die Fortsetzung dieses Beitrags erscheint am 15.07.2025.

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