„Schlagen Sie Ihre Frau noch?“ Oder: Die Kunst des richtigen Fragens. Zur Finanzierung der Rabbiner- und Kantorenausbildung

30. 07. 2025

Die Fraktion DIE LINKE fragt in einer Kleinen Anfrage nach der Rabbiner- und Kantorenausbildung an vier jüdischen (ehemals) staatlich geförderten Bildungseinrichtungen: dem Abraham Geiger Kolleg, dem Institut für Jüdische Theologie Potsdam, der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg und der Nathan Peter Levinson Stiftung. Nach der Fragestellung kann das Ergebnis nur lauten: Das Geiger Kolleg wird wegen seiner liberalen Ausrichtung zugunsten der Einrichtungen des Zentralrats der Juden religiös diskriminiert. Die eigentlichen Hintergründe des Zuwendungsentzugs werden ausgeblendet.

In einer Kleinen Anfrage vom 22. Juli 2025[1] erkundigt sich die Bundestagsfraktion DIE LINKE nach der finanziellen Ausstattung des Abraham Geiger Kollegs für liberale Rabbiner- und Kantorenausbildung, das das Bundesinnenministerium seit 2024 und auch mit dem kommenden Haushalt nicht mehr finanziell fördern möchte. Gefragt wird nach der Ausbildung von Rabbinern sowie Kantoren an vier jüdischen (ehemals) staatlich geförderten Bildungseinrichtungen: dem Abraham Geiger Kolleg, dem Institut für Jüdische Theologie an der Universität Potsdam, der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg und der Nathan Peter Levinson Stiftung. Nach der Fragestellung kann das Ergebnis nur lauten: Das Geiger Kolleg wird wegen seiner Repräsentierung des liberalen bzw. Reformjudentums und damit aus religiösen Gründen zugunsten traditionellerer jüdischer, durch den Zentralrat der Juden in Deutschland vertretener Strömungen diskriminiert. 

Die Fragestellung erscheint zunächst absolut fair, da zu allen Institutionen im Kern dieselben Fragen gestellt werden: Wie viele Rabbiner und Kantoren wurden in den letzten Jahren ausgebildet und ordiniert, und welchen jüdischen Denominationen gehören sie an? Doch die Institutionen sind im Wesentlichen nicht gleich, sodass sie nach Art. 3 GG auch nicht gleichbehandelt werden dürfen, wenn nicht ein sachlicher Grund hierfür vorliegt. Es bleibt ein zulasten des Zentralrats der Juden verzerrtes Bild.

I. Die in der Anfrage verglichenen Institutionen sind nicht wesentlich gleich.

1. Die Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg bietet inzwischen im Bereich des religiösen Personals nur noch den Erwerb eines Abschlusses für jüdische Religionslehrer, die allgemeine jüdische akademische Hochschulbildung sowie einen Studiengang für Jüdische Sozialarbeit an; die eigentliche Rabbiner- und Kantorenausbildung mit anschließender Ordination wird durch entsprechende Seminare wahrgenommen, die zum Zentralrat der Juden als Religionsgemeinschaft gehören bzw. von ihm gefördert werden.[2] Die liberalen und konservativen Seminare sind inzwischen unter dem Dach der Nathan Peter Levinson Stiftung organisiert, das orthodoxe, nicht institutionell staatlich geförderte Rabbinerseminar zu Berlin ist selbständig.[3] Diese Trennung entspricht der Unterscheidung im christlichen Kontext zwischen dem universitären Theologiestudium und der weiteren Ausbildung am Priesterseminar.

Es wird also in der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE in der Sache eine theologische Fakultät bzw. kirchliche Hochschule mit einem Priesterseminar verglichen. Folglich kann als Zahl der Ordinationen nur eine Null erscheinen. Das suggeriert, dass die staatliche Unterstützung der Hochschule nicht legitim wäre. Dabei werden auch an den christlichen theologischen Fakultäten keine Ordinationen durchgeführt; trotzdem werden sie staatlicherseits unterstützt. Die Förderung der Religionslehrerausbildung an der Hochschule für Jüdische Studien ist aufgrund des religiösen Selbstverständnisses des Judentums mit der großen Bedeutung religiösen Lernens, gerade auch mit Blick auf den Wiederaufbau der jüdischen Gemeinschaft nach der Schoah, von entscheidender Bedeutung.[4]

2. Die Nathan Peter Levinson Stiftung mit dem Regina Jonas Seminar für die liberale Rabbinerausbildung, dem Abraham Heschel Seminar für konservative Rabbinerausbildung und dem Louis Lewandowski Seminar für liberale und konservative Kantorenausbildung wurde erst im Jahr 2024 durch den Zentralrat der Juden in Reaktion auf die Vorwürfe des Machtmissbrauchs am Abraham Geiger Kolleg gegründet. Religiös ist sie der Allgemeinen Rabbinerkonferenz des Zentralrats zugeordnet, die das liberale und konservative Judentum vertritt. Aufgrund der kurzen Existenz kann diese Einrichtung als Zahl der Ordinationen wie die Hochschule nur die Zahl Null als Ergebnis haben. Die Zahl der liberalen Studierenden kann ebenfalls aufgrund der Konkurrenz zum Abraham Geiger Kolleg nur deutlich kleiner sein als die Zahlen des Geiger Kollegs.

3. Das Abraham Geiger Kolleg, das seit März 2024 religiös von der Liberalen Rabbinervereinigung e. V. unterstützt wird, wird aufgrund seiner 25-jährigen konkurrenzlosen Existenz selbstverständlich die höchste Zahl an liberalen Rabbinerordinationen und ausgebildeten Kantoren aufweisen, zumal hier nach der gesamten Zeit des Bestehens und nicht nur nach den letzten zehn Jahren gefragt wird. In Bezug auf den aktuellen Haushalt wäre es hingegen entscheidend zu wissen, wie viele Neueinschreibungen es seit der Gründung der Levinson Stiftung gegeben hat. Da das Geiger Kolleg kleiner ist als die Zentralratseinrichtungen, werden hier die Finanzzuweisungen in der Vergangenheit in absoluten Zahlen geringer sein.

4. Das Institut für Jüdische Theologie schließlich kann letztlich nicht als eigenständiger Akteur eingeordnet werden, da es mit allen liberalen und konservativen Seminaren kooperiert.[5]

II. Der Maßstab der Zahl der ausgebildeten Rabbiner und Kantoren ist ungeeignet.

Die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vermittelt den Eindruck, dass die Institution, die die meisten Absolventen in geistlichen jüdisch-liberalen Berufen hat und die geringsten Kosten verursacht, auch die förderungswürdigste sei. Dabei kann nach der Art der Fragestellung das Ergebnis nur sein, dass die Institutionen des Zentralrats der Juden keine Geistlichen des liberalen Judentums ausbilden, aber trotzdem vom Bund und den Ländern mit erheblichen Geldern gefördert werden, während die einzige Institution, die für die kleine jüdische Gemeinschaft entsprechende ansehnliche Zahlen an Absolventen aus früheren Jahren vorweisen kann, keine Zuwendungen mehr erhalten soll. Generell wird die zu erwartende geringe Zahl jüdischer Absolventen angesichts der hohen staatlichen Kosten der Unterstützung religiöser jüdischer Bildung als unverhältnismäßig erscheinen.[6]

III. Der Hintergrund des Zuwendungsentzugs wird ausgeblendet.

Insgesamt vermittelt die Anfrage den Eindruck, der Entzug der staatlichen Gelder durch das Bundesinnenministerium sei in einer religiösen Diskriminierung des Reformjudentums begründet. Staatliche Förderung religiöser Einrichtungen darf jedoch nur erfolgen, wenn in diesen kein Machtmissbrauch erfolgt und dort tatsächlich u. a. religiöse Bildungsabschlüsse erworben werden.[7] Beides sahen die staatlichen Zuwendungsgeber beim Abraham Geiger Kolleg ausweislich der Gemeinsamen Erklärungen im Jahr 2022 und 2024 nicht mehr gewährleistet.[8] Die Zweifel an dem Ordinationsrecht des Geiger Kollegs dürften auch durch die Gründung der Liberalen Rabbinervereinigung e. V. nicht ausgeräumt worden sein, da diese laut ihrer Satzung nur unterstützend tätig werden möchte.[9] Dies wird eine Ordination ausschließen, da die Vorstandsmitglieder der Vereinigung, die auch der Allgemeinen Rabbinerkonferenz des Zentralrats angehören, sonst in einen Interessenkonflikt gerieten.[10] Grund für den Mittelentzug ist damit nicht die religiöse Ausrichtung des Abraham Geiger Kollegs, sondern die Auffassung des Bundesinnenministeriums, dass die objektiven Förderungsvoraussetzungen fehlen.[11] Dies blendet die Kleine Anfrage vollständig aus. 

Anmerkung: Der Beitrag gibt ausschließlich die private Auffassung der Autorin wieder.

Fußnoten

Fußnoten
1 Vgl. BT-Drs. 21/955 Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 22.07.2025, Finanzielle Ausstattung des Abraham Geiger Kollegs.
2 Für die Eigenschaft als Religionsgemeinschaft Lutz-Bachmann, Mater rixarum?, 2015, S. 324–327 (insbes. 325 f.); ferner Günzel, Der verfassungsrechtliche Begriff der Religionsgesellschaft und die jüdische Gemeinschaft, in: Staat – Religion – Recht. Festschrift für Gerhard Robbers zum 70. Geburtstag, 2020, S. 617–635 (insbes. 628–635). Zur praktischen Bestätigung durch den Abschluss des Vertrages über die Einrichtung einer jüdischen Militärseelsorge im Jahr 2019 z. B. Hense, Vergangenheit als staatliche Verpflichtung? Der Vertrag der Bundesrepublik Deutschland mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland, in: Zentralrat der Juden in Deutschland (Hrsg.), Autonomie und Gesetz: Zum Verhältnis von Staat und Religion, 2023, S. 112–126 (121). A. A. allgemein Demel, Gebrochene Normalität, 2011, S. 202–204.
3 Zur Struktur der jüdischen Bildung Günzel, Judentum an der Universität: Eine gute Idee?, in: „Bibel und Liturgie“, Heft 3/2017, S. 219–231 (224 f.).
4 Zur Bedeutung des Lernens Günzel, Das Verhältnis zwischen Medium und Inhalt im Judentum, in: Mokrosch/Mallouki (Hrsg.), Religionen im Wandel von Politik, Wirtschaft und Bildung, 2019, S. 133–153.
5 Vgl. Institut für Jüdische Theologie, https://www. juedischetheologie-unipotsdam.de/de/an-institute-und-kooperationen/unsere-kooperationen (abgerufen am 29.07.2025).
6 Zum Kriterium der Zahl bei Minderheiten vgl. Günzel, Religionsförderung zugunsten von Minderheiten als Aufgabe staatlicher Religionspolitik?, Essener Gespräche 58 (2023), S. 55–83 (insbes. 76–78).
7 Vgl. dpa, Kommissionsbericht. Uni Potsdam: Machtmissbrauch an der Rabbinerschule bestätigt, Berliner Zeitung, 26.10.2022, https://www.berliner-zeitung.de/news/uni-potsdam-vorwurfen-des-machtmissbrauchs-und-sexueller-belaestigung-an-rabbinerseminar-abraham-geiger-kolleg-teilweise-bestatigt-li.280424 (abgerufen am 29.07.2025). Das Urteil des LG Berlin II vom 08.07.2025 – 27 O 37/24 betraf nicht diesen Bericht.
8 Vgl. Zentralrat der Juden in Deutschland/Bundesministerium des Innern und für Heimat/Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg/Kultusministerkonferenz, Gemeinsame Erklärung zur Zukunft der liberalen und konservativen Rabbinerausbildung in Deutschland, 26.02.2024, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2024/gemeinsame-erklaerung.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen am 27.07.2025).
9 § 2 Nr. 2c Satzung der Liberalen Rabbinervereinigung e. V. vom 28. März 2024, https://rabbis.de/wp-content/uploads/2024/06/2024.03.28_LR-Satzung.pdf (abgerufen am 29.07.2025).
10 Zur Bindung der Rabbiner, die auch Mitglieder der ARK sind, an die Beschlüsse der ARK vgl. ARK, Patrilinearität. Erklärung des Vorstands der ARK zu einem Responsum von Rabbiner Jonah Sivers in seiner Eigenschaft als Mitglied der Liberalen Rabbinervereinigung (undatiert), https://a-r-k.de/meldung/147 (abgerufen am 29.07.2025).
11 Zur negativen Entscheidung des VG Köln im Eilverfahren des Geiger Kollegs gegen das Bundesinnenministerium vom 1. Oktober 2024 – 16 L 1791/24 – vgl. Evangelische Zeitung, Eilantrag auf Bundesmittel für Rabbinerseminar abgewiesen, 02.10.2024, https://evangelische-zeitung.de/eilantrag-auf-bundesmittel-fuer-rabbinerseminar-abgewiesen (abgerufen am 29.07.2025). Vgl. ferner dpa, Rabbinerschule klagt gegen Innenministerium nach Förderstopp, Welt online, 21.07.2024, https://www.welt.de/regionales/berlin/article252626592/Rabbinerschule-klagt-gegen-Innenministerium-nach-Foerderstopp.html (abgerufen am 29.07.2025). Zur aktuellen Lage der liberalen und konservativen Rabbinerausbildung Posener, Jüdische Spaltung – die einen Studenten im Container, die anderen im Barockbau, Welt online, 27.07.2025, https://welt.de/politik/deutschland/plus6881fc81c1ef6365168b8c05/konflikt-ueber-rabbi-ausbildung-juedische-spaltung-die-einen-studenten-im-container-die-anderen-im-barockbau.html (abgerufen am 29.07.2025).

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