Das kirchliche Arbeitsrecht – zwischen Berufsethos und kirchlichem Sendungsauftrag

18. 08. 2022
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Unabhängig von der Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen im Bereich des Arbeitsrechts überdehnt wird, vernachlässigt der Entwurf der neuen Grundordnung für den kirchlichen Dienst die aktuelle Rechtsprechung des EuGH. Auch fehlt der Bezug zu dem Begriff des Ethos. Die Notwendigkeit von gestalteten Identitätsprozessen mit allen Mitarbeitenden wird nicht tätigkeits-, sondern institutionsbezogen gedacht. Der Entwurf spricht somit von der Pflicht und Verantwortung der Träger für die kirchliche Identität, nimmt aber die Autonomie der Mitarbeitenden zu wenig wahr.

Der Ethos-Begriff – ein unverstandener Schlüsselbegriff

Unabhängig von der Frage, ob hier das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen im Bereich des Arbeitsrechts überdehnt wird, vernachlässigt der Entwurf der neuen Grundordnung für den kirchlichen Dienst (im Folgenden: GrO-Entwurf)[1] die aktuelle Rechtsprechung des EuGH. Ungeklärt bleibt der vom EuGH eingebrachte Begriff des Ethos. Das Urteil im Fall Egenberger zur Auslegung von Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG fordert von der Evangelischen wie Katholischen Kirche künftig „nach der Art der betreffenden Tätigkeiten oder den vorgesehenen Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche oder Organisation“ [2] darzulegen. Seitens der kirchlichen Organisation ist differenziert zu beschreiben, was eine konfessionelle Bindung für die jeweilige Tätigkeit begründet. Erst aus diesem inneren Begründungszusammenhang von Tätigkeit und kirchlichem Selbstverständnis wird arbeitsrechtlich die Konfessionszugehörigkeit der Mitarbeitenden relevant! Genau hier verpasst der GrO-Entwurf einen zukunftsfähigen Perspektivwechsel, der einen Dreischritt vom Organisations- zum Berufs- und Mitarbeitendenethos vorsieht. Ausgangspunkt sind die kirchlichen Träger mit ihrem spezifischen kirchlichen Organisationsethos (Vision, Auftrag, Werte, Kultur), welches sie im Sinne eines christlichen Berufsethos tätigkeitsbezogen beschreiben sollen (christlich geprägte Professionalität) und für das sich Mitarbeitende dann entscheiden können. Der Grad der Kohärenz zwischen diesen Dreien (Organisation, Profession und Person) führt zu einer Bindung bzw. Identifikation von Bewerbenden bzw. Mitarbeitenden mit dem kirchlichen Träger und ist Grundlage für die fachliche Umsetzung der kirchlichen Sendung. Identifikation bedeutet dann einen permanenten Aushandlungsprozess, der die Autonomie der Mitarbeitenden ernst nimmt und mit ihnen im Diskurs zu einer substanziellen Profilierung kirchlicher Unternehmungen führt. Der Prozess der Ethosbildung vollzieht sich daher im Modus des Angebots zum Diskurs auf Grundlage eines konfessionellen Menschen-, Welt- und Gottesbildes. Das ist die Herausforderung für katholische Träger in einer pluralen Gesellschaft. Dies verlangt eine die Prozesse ermöglichende Organisations- und Führungskultur, die alle Mitarbeitenden miteinbezieht und so für die kontinuierliche Übersetzung des christlichen Selbstverständnisses in die jeweiligen fachlichen Kontexte der Professionen gemeinsam Sorge trägt. Durch die Erörterung der fachlichen Praxis auf Basis christlicher Überzeugungen zeigen sich die Werte und Haltungen, mit denen sich Mitarbeitende eines kirchlichen Trägers identifizieren sollten.

Kirchliches Profil oder christliches Selbstverständnis

In Art. 3 GrO-Entwurf wird die Notwendigkeit von gestalteten Identitätsprozessen mit allen Mitarbeitenden aber nicht tätigkeits-, sondern institutionsbezogen gedacht. Ziel ist demnach der Erhalt und die Schärfung des Profils der kirchlichen Einrichtungen. Daher sollen Mitarbeitende bereits „eine positive Grundhaltung und Offenheit gegenüber der Botschaft des Evangeliums mitbringen, den christlichen Charakter der Einrichtung achten und dazu beitragen, ihn im eigenen Aufgabenfeld zur Geltung zu bringen“ (Art. 3 Abs. 2 GrO-Entwurf). In einer pluralen und säkularen Gesellschaft wollen und müssen Mitarbeitende aber erst für die fachliche Relevanz von christlichen Werten und Haltungen in einer offenen Diskurskultur gewonnen werden. Es gilt sie zu befähigen, den Glaubensbezug in den Tätigkeits- und Lebensprozessen zu entdecken. Diskurse, die auf die Schärfung und den Schutz des Profils der Institution abzielen, werden von Mitarbeitenden als Verletzung ihrer Autonomie und im beruflichen Kontext als übergriffig erlebt. Der hier verwendete Profilbegriff aus dem Marketing selbst ist für den kirchlichen Kontext untauglich, da er abgrenzend und exklusiv wirkt.[3] Wird dagegen vom christlichen Selbstverständnis gesprochen, kommt ein Gottesbild zum Tragen, das inklusiv ist. Dann zielt die Sendung der Katholischen Kirche auf eine diakonische Praxis, die Bezug auf die Tätigkeit und die Professionalisierung zum Wohl der bzw. des Nächsten und der ganzen Gesellschaft nimmt. Im Vordergrund steht nicht ein Profil der Kirche, sondern das gemeinsame Anliegen von kirchlichem Träger und Mitarbeitenden nach höchster Professionalität auf Grundlage des christlichen Selbstverständnisses. Entsprechende tätigkeitsbezogene Diskursprozesse führen zu einem authentischen Handeln der kirchlichen Dienste und Einrichtungen, weil sie durch glaubwürdige und religiös sprachfähige Mitarbeitende wahrgenommen werden! Gemeinsame Grundlage sind die in Diskursen erarbeiteten christlichen Werte, die in den fachlichen Standards zur Geltung kommen und von Mitarbeitenden akzeptiert und übernommen werden. Sie führen zu einer Identifizierung mit dem Träger, der diesen Diskurs als Teil seines kirchlichen Sendungsauftrags anbietet und so unter Wahrung der Autonomie der Mitarbeitenden das Evangelium inkulturiert. Dies mögen Außenstehende dann als konfessionell profiliert erleben. Möglich wird dies, weil die fachliche Tätigkeit christlich durchdacht und authentisch gelebt wird.

Die Bischöfe tauchen ab

Der GrO-Entwurf spricht somit von der Pflicht und Verantwortung der Träger für die kirchliche Identität, nimmt aber die Autonomie der Mitarbeitenden zu wenig wahr. Deutlich wird dies am Absatz zur Fort- und Weiterbildung, der unreflektiert Spiritualitätsangebote miteinbezieht (vgl. Art. 5 GrO-Entwurf). Diese lesen sich als ein Instrument, um auf die Person der Mitarbeitenden mit ihren spezifischen Belastungen einzuwirken. Gefordert wäre aber, auf Grundlage der Darlegung des jeweiligen Berufsethos die geforderten christlichen Qualitäten der beruflichen Tätigkeit zum Gegenstand der Fort- und Weiterbildung zu machen. Mit diesen müssen sich Mitarbeitende auseinandersetzen und sich fachlich identifizieren. Davon zu trennen sind spirituelle Angebote, die den besonderen Bedingungen religiöser Persönlichkeitsentwicklung und existenzieller Fragestellungen Rechnung zu tragen haben. Sie sind in einem abhängigen Anstellungsverhältnis mit großer Sensibilität zu gestalten.[4] Bemerkenswert ist, dass die Deutschen Bischöfe ihre Verantwortung für Identitätsarbeit auf einen Satz reduziert haben, mit dem sie dann zugleich spirituell abtauchen: „Die (Erz-)Diözesen unterstützen die Träger in der gemeinsamen Sorge, den Mitarbeitenden im kirchlichen Dienst durch geeignete spirituelle Angebote die individuelle Glaubensbildung und -vertiefung zu ermöglichen.“ (Art. 5 Abs. 2 S. 4 GrO-Entwurf) Dies entspricht der in den „Erläuterungen“ [5] zitierten notwendigen „Herzensbildung“ für Mitarbeitende, wie sie Benedikt XVI. in der Enzyklika Deus caritas est dargelegt hat. Die unausgesprochene Hypothese lautet: Ohne diese spirituellen Angebote der Kirche wären die Mitarbeitenden – ehrenamtlich wie beruflich – in der Gefahr, nur entnabelte herzlose Sozialaktivist_innen zu sein. Zu fragen ist, ob das Arbeitsrecht dazu dient, spirituelle Angebote und gezielte Glaubensvertiefung zu ermöglichen oder nicht vielmehr von den Deutschen Bischöfen verlangt, gemeinsam mit den kirchlichen Trägern nachvollziehbar darzulegen, welches christliche Berufsethos je nach Tätigkeit eine Konfessionsbindung erfordert.

Die Sendung der Kirche – (k)ein tätigkeitsbezogenes Narrativ

Karitative Träger haben daher begonnen, Stellenausschreibungen auf kompetenzbezogene Stellenprofile umzustellen. Sie machen deutlich, welche religiös-spirituellen und kirchlich-institutionellen Fähigkeiten die christlichen Werte und Haltungen in dem jeweiligen Tätigkeitsfeld zum Ausdruck bringen.[6] Grundlage dafür ist das entsprechende Organisationsethos des kirchlichen Trägers (der Auftrag, die Vision z. B. in Form des Leitbilds). Die „kirchlichen Sendung“ ist somit als ein tätigkeitsbezogenes Narrativ zu formulieren, im Sinne der gesellschaftlichen Gestaltung. Ziel ist, mit allen Mitarbeitenden eine Zivilisation der Liebe (Reich Gottes) zu fördern und zu realisieren. Darin zeigt sich die Sendung und das Selbstverständnis der Kirche. Wer daran mitwirkt, verwirklicht durch seine Tätigkeit die Sendung der Kirche. Grundlegend ist somit eine diakonische Spiritualität, die vorbehaltlos jeder und jedem begegnet, um der oder dem Nächsten die denkbar beste professionelle Hilfe und Begleitung zu einem selbstbestimmten Leben mit gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen.
Dieses Sendungsbild eines diakonischen Auftrags wird jedoch durch die Überbetonung des institutionsbezogenen Ansatzes der Deutschen Bischöfe beschädigt. Die angenommene fertige Passung des möglichst katholischen Mitarbeitenden steht erneut im Vordergrund und nicht die Gewinnung engagierter Menschen für den Prozess der gemeinsamen Entwicklung der Gesellschaft als Sendung der Kirche (Volk-Gottes-Theologie).

An der Nabelschnur hängen geblieben

Was dem GrO-Entwurf fehlt, ist ein gewinnendes Narrativ, das für Mitarbeitende eben mehr darstellt, als Teil der Sendung einer in der Öffentlichkeit mehr als beschädigten Institution Kirche zu sein. Und für die intrinsische Motivation und die Bindung reicht es eben nicht, als Arbeitnehmer_in oder ehrenamtliche engagierte Person vor der Katholischen Kirche keine Angst haben zu müssen. Wer sich die Mühe macht, die 23 Seiten „Erläuterung“ zu lesen, wird aufmerken. Hier feiern ekklesiale Bilder eine Renaissance, die befremden. Sie geben ein Zeugnis von einer tief sitzenden Autonomiefeindlichkeit und ungebrochenen moralischen Hybris.
„Wer aus der katholischen Kirche austritt, wendet sich ostentativ von der Kirche als Institution ab und durchtrennt die Nabelschnur zur Bekenntnisgemeinschaft. Damit verstößt der Mitarbeitende gegen das Gebot der Mindestidentifikation mit der katholischen Kirche, das unerlässliche Voraussetzung für jede Anstellung im kirchlichen Dienst ist.“ (Erläuterungen VIII Abs. 5)

Wer möchte ein Leben lang religiös unselbstständig an der Nabelschnur der Mutter Kirche hängen bleiben? Das Bild der Nabelschnur zeigt das alte maternalistische und paternalistisches Selbstbild der Deutschen Bischöfe gepaart mit dem Kindheitsschema der Laien, die ohne das kirchliche Amt beruflich wie ehrenamtlich moralisch und spirituell unmündig sind. Der Sendungsbegriff in dem GrO-Entwurf baut so auf einem überholtem spirituell-sakralen Abhängigkeitsverhältnis auf. Es verkennt theologisch die von Gott jedem Menschen in seiner Gottebenbildlichkeit geschenkte Autonomie und Befähigung zur Liebe als Ausdruck der Gottesliebe. Diese ist ohne jede Bedingung, denn wahre Liebe befähigt und befreit. Sie findet ihre Entsprechung in der vorbehaltlosen Nächstenliebe. Aus dieser Freiheit wächst die Bindung, Identifikation und Identität mit dem, der Ursprung dieser Liebe ist. Wer am Ende der Volkskirche und im Anblick des moralischen Versagens von Verantwortlichen der Kirche beim sexuellen und spirituellen Missbrauch so undifferenziert die Kirchenmitgliedschaft als Mindestidentifikation beschreibt, wird weder von den Kirchenmitgliedern noch von einem deutschen Arbeitsgericht ernst genommen. Es mutet dann schon grotesk an, wenn im Anschluss auch noch mit der Notwendigkeit von Kirchensteuereinnahmen argumentiert wird und der Austritt immer als eine aktive und bewusste Handlung bewertet wird, die den Bruch mit der Glaubens- bzw. Bekenntnisgemeinschaft beabsichtigt (vgl. Erläuterungen VIII Abs. 5). Hier zeigt sich eine alte Zugehörigkeits- und Mitgliedschaftslogik, die immer noch den Beruf als Berufung in die kirchliche Gemeinschaft instrumentalisiert. Wer aus der Kirche austritt, bekommt einen Tritt!

Dies ist ein Beitrag einer dreiteiligen Reihe.

Lesen Sie hier den ersten Teil

Hier geht es zum dritten Teil

Fußnoten

Fußnoten
1 Entwurf der neuen Grundordnung für den kirchlichen Dienst (Stand 06.05.2022), unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2022/2022-086a-Grundordnung-des-kirchlichen-Dienstes-Entwurfsfassung-vom-06.05.2022.pdf, abgerufen am 4.8.2022
2 Urt. v. 17.4.2018, Egenberger, C‑414/16, ECLI:EU:C:2018:257.
3 Vgl. zum Profilbegriff Schrage, Bruno (2021): Christlich Managen in säkularen Zeiten, in: Koch/et al.: Mehr als Leitbilder. Ansprüche an eine christliche Unternehmenskultur, Freiburg, S.70 ff.
4 Wollasch, Ursula (2022): Schafft sich die Kirche ein neues Problem? Katholisch.de, unter: https://www.katholisch.de/artikel/39900-spiritualitaet-am-arbeitsplatz-braucht-spielregeln (abgerufen am 25.7.2022).
5 Entwurf der Bischöflichen Erläuterungen zum kirchlichen Dienst (Stand 27.05.2022), unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2022/2022-086b-Bischoefliche-Erlaeuterungen-zum-kirchlichen-Dienst-Entwurfsfassung-vom-27.05.2022.pdf (abgerufen am 4.8.2022.
6 Siehe z. B. Kompetenzmodell Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e. V. unter: https://www.caritasnet.de/themen/caritaspastoral/arbeitshilfen/ (abgerufen am 27.7.2022).

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