Der türkische Staat will den Status quo wahren

29. 06. 2022
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Als Bundeskanzler Scholz im März 2022 zum Antrittsbesuch in Ankara war, überraschte der türkische Staatspräsident Erdogan die Zuhörer mit einem Vorschlag eine theologische Fakultät an der Türkisch-Deutschen Universität (TDU) in Istanbul zu etablieren und zügig auch einen Ableger dieser gemeinsamen Universität in Deutschland zu eröffnen. Die Politik und auch die Medien waren auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Rolle der Türkei fokussiert, so dass dieser Vorschlag sowohl seitens der Politik als auch in der Berichterstattung kaum wahrgenommen wurde.

Warum aber dieses plötzliche Vorpreschen des türkischen Staatspräsidenten? Der Ausbau der staatlich kontrollierten Ausbildung von Theologen und Imamen durch die türkische Religionsbehörde Diyanet spielt für die AKP-Regierung eine große Rolle. Denn gerade in den vergangenen Jahren ist die Diyanet zu einem wichtigen Instrument für den Machterhalt von Erdogan geworden. Das Diyanet-Personal hat dabei aber nicht nur enormen Einfluss in der Türkei, sondern auch auf die Moscheeverbände wie die DITIB in Deutschland. Die Religionsattachés in den türkischen Konsulaten, die religiösen Beiräte in den Landesverbänden und die Vorstandsmitglieder in der DITIB-Zentrale bestehen in aller erster Linie aus Diyanet-Personal. Sie geben die Ausrichtung der DITIB vor und sichern damit die Kontrolle durch Ankara.

Die Kritik an diesem System und die Forderungen nach einer Imamausbildung in Deutschland hat natürlich auch Ankara mitbekommen. Sie sehen in diesen Forderungen und in der Etablierung der Islamischen Theologie an deutschen Universitäten einen Versuch, den Einfluss Ankaras und der türkischen Religionsbehörde Diyanet zurückzudrängen. Die Entscheidung von Erdogan, eine theologische Fakultät an der TDU zu gründen, ist daher ein Ausdruck des Misstrauens gegenüber der Islamischen Theologie an deutschen Universitäten und ein Versuch, die Forderungen an eine in Deutschland verortete Theologen- und auch Imamausbildung zu kontern.

Es ist kein Zufall, dass Erdogan in der Pressekonferenz mit Bundeskanzler Scholz von sich aus diesen Vorschlag der Gründung einer theologischen Fakultät an der TDU gemacht hat. Einige Tage nach dieser Pressekonferenz hat Yasin Baş, aktiv im zentralen Exekutivkomitee der AKP-Lobbyorganisation UID und Mitarbeiter in der DITIB-Zentrale in Köln, einen Beitrag[1] für das türkische Staatsmedium „TRT Deutsch“ verfasst, in dem er die Etablierung einer theologischen Fakultät an der TDU als Lösungsmodell für das Imamproblem in Deutschland bezeichnete. Gleichzeitig versucht er in diesem Beitrag die Islamische Theologie an deutschen Universitäten als „Staatsislam“ zu diskreditieren. Seit Jahren agitieren Personen in den Verbänden wie DITIB und IGMG mit diesem Vorwurf gegen die Islamische Theologie an deutschen Universitäten, und blenden dabei aber völlig aus, dass Freiheit der Lehre auch für die Islamische Theologie gilt. Dass gerade ein Verband wie die DITIB, der durch die personelle und strukturelle Abhängigkeit an die türkische Religionsbehörde Diyanet für einen wirklichen Staatsislam türkischer Prägung stehen, dies als Argument anführt, zeigt die Absurdität dieser Kampagne.

Die Forderung von Erdogan auf dieser Pressekonferenz und auch der Beitrag von Yasin Baş sind kein Zufall. Dahinter steckt das Ziel das Monopol und den ideologischen Einfluss auf Theologen und Imame nicht zu verlieren. Jeder Versuch deutscher Muslime sich emanzipieren und sich vom staatlichen und ideologischen Einfluss der Türkei und der AKP zu lösen, wird als Verrat denunziert. Aus der Perspektive der AKP macht das auch Sinn, denn bisher galt die Religion und das religiöse Personal, die weisungsgebunden sind, als ein wichtiges Instrument, die Moscheegemeinden auf Linie zu halten. Je mehr sich deutsche Muslime von dieser Fremdbestimmung befreien und eine eigenständige Religiosität und Theologie in Deutschland etablieren, umso mehr sehen Erdogan, die AKP und die ihm zur Loyalität verpflichteten DITIB-Funktionäre ihre Monopolstellung bedroht.

Die TDU ist schon lange nicht mehr ein gemeinsames Projekt von Deutschland und der Türkei. Gerade die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie an der TDU immer mehr AKP-treues, wissenschaftliches Personal an Schlüsselstellen kommt. Eine theologische Fakultät an der TDU soll am Ende loyale Imame hervorbringen, um den strategisch wichtigen Zugang in die Gemeinden in Deutschland nicht zu verlieren. Nach seinem Vorpreschen im März hat Erdogan auch nicht lange gewartet. Mit einem Dekret hat er kurzerhand am 3. Juni 2022 die Gründung einer theologischen Fakultät einfach beschlossen, obwohl die TDU eigentlich ein gemeinsames Projekt der Türkei und Deutschlands ist.

Vielleicht ist es zur Abwechslung nicht schlecht, aufmerksam zuzuhören, was Erdogan sagt. Warum kam er im März 2022 auf der Pressekonferenz mit dieser Forderung? Was für Auswirkungen hat diese Forderung? Und welches Kalkül steckt dahinter? Über all das wurde nicht diskutiert. Stattdessen fühlen sich die politischen Verantwortlichen – mal wieder – überrumpelt.

Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung auf diese Mogelpackung eines vermeintlichen Lösungsmodells für die Imamausbildung in Deutschland nicht hereinfällt. Denn so eine ideologisch ausgerichtete Theologenausbildung ist nicht nur kein Lösungsmodell für die Imamfrage, sondern es ist die Aufrechterhaltung des Status quo und der Ausdruck eines Misstrauens gegenüber deutschen Muslimen und gegenüber der mühsam etablierten Islamischen Theologie an deutschen Universitäten, wo im Gegensatz zur Türkei die Freiheit der Lehre garantiert ist.

Fußnoten

Fußnoten
1 https://www.trtdeutsch.com/meinung/theologische-fakultat-als-neuer-impuls-fur-deutsch-turkische-beziehungen-8254583, zuletzt aufgerufen: 28.06.2022

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