Rituelles Schlachten in Europa und die Wahrung der Religionsfreiheit

23. 02. 2023
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Ende Januar hat die AfD-Bundestagsfraktion im Parlament einen Antrag auf Verbot des religiösen Schächtens gestellt. Der Antisemitismusbeauftragte, Felix Klein, kritisiert diesen Gesetzesantrag, da er nicht nur ein „fundamentaler Angriff auf das jüdische Leben“ sei, sondern auch Muslime in Deutschland diskriminiere. Immer wieder versucht die Partei per Gesetz ein Verbot durchzubringen und legt sich den Tierschutz zurecht, wie sie ihn braucht. Ihre früheren Anträge in den Landtagen von Schleswig-Holstein und Niedersachsen wurden abgelehnt. In der EU gibt es unterschiedliche Gesetze zum rituellen Schächten. In Deutschland darf dies nur mit Ausnahmegenehmigung durchgeführt werden. Verbreiteter ist das Schächten mit vorheriger Betäubung. Halal- und Koscher-Produkte sind Teil eines boomenden Weltmarkts und nicht nur bei religiösen Menschen beliebt.

Verfassungsrecht, Religionsfreiheit und Tierschutz in Europa

Das traditionell jüdische Schächten (sog. Schechita) soll in Rumänien wieder ohne Ausnahmegenehmigung gesetzlich erlaubt werden. Dafür setze sich eine Gesetzesinitiative zum Schutz der Schechita ein, die von der Föderation jüdischer Gemeinden in Rumänien und dem rumänischen Parlamentspräsidenten Marcel Ciolacu getragen werde, wie die Europäische Rabbinerkonferenz mitteilte. Am Rande ihrer Tagung im November 2022 wurde die Absichtserklärung unterschrieben.[1] Sie könnte zu einem neuen Präzedenzfall in Europa führen.

Was versteht man unter rituellem Schlachten?

Die jüdische und muslimische Tradition sieht das Schlachten von Tieren ohne Betäubung (Schächten oder Schechita) vor. Dabei handelt es sich um eine altorientalische Schlachtform, bei der Tiere mittels eines Halsschnitts und darauffolgender Entblutung getötet werden. Mit dem Schächten werden die religiösen Speisevorschriften im Judentum (Kaschrut)[2] und Islam umgesetzt; das Fleisch ist dadurch koscher bzw. halal.[3] Mittlerweile gibt es verschiedene Abstufungen von halal und koscherem Fleisch, da die abrahamitischen Regelungen unterschiedlich ausgelegt werden.

Wie sind die rechtlichen Regelungen in der EU?

Schon 1974 wurde auf europäischer Ebene eine Richtlinie[4] erlassen, die regelt, dass Tiere vor dem Schlachten betäubt werden müssen. 2009 wurde die EU-Schlachtverordnung[5] erlassen, die grundsätzlich ebenfalls an der Ausnahme der Betäubungspflicht aus religiösen Gründen festhielt, aber den Mitgliedstaaten einen gewissen Spielraum überließ.[6]

Mit dem jüngsten in diesem Zusammenhang ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Dezember 2020[7] wurde das Verhältnis von Religionsfreiheit und Tierschutz weiter präzisiert. Es wurde zwar kein grundsätzliches Schächtverbot für die gesamte EU ausgesprochen, aber klargestellt, dass Restriktionen, insbesondere durch das Erfordernis einer vorherigen Betäubung, durch die Mitgliedstaaten in diesem Bereich jedoch grundsätzlich zulässig sind. Das Urteil schränkt die jüdischen und muslimischen Religionsanhänger in der Ausführung ihrer Tradition (Schächten ohne Betäubung) ein.

Der Fall in Belgien

Nach dem EuGH-Urteil wurde das traditionelle rituelle Schlachten in weiten Teilen Belgiens verboten. Nur in der Region Brüssel-Hauptstadt ist es weiterhin uneingeschränkt ohne Betäubung erlaubt. Ein Antrag im Brüsseler Regionalparlament im Juni 2022, der auf das Verbot des Schächtens ohne Betäubung in der Hauptstadt gerichtet war, blieb erfolglos.[8]

Schächten in Deutschland

In Deutschland ist das betäubungslose Schlachten eines warmblütigen Tieres gemäß § 4a Abs. 1 TierSchG[9] grundsätzlich verboten. Eine Ausnahmeregelung hiervon kann Religionsgemeinschaften für das Schächten gemäß § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG erteilt werden.[10] Der Antrag wird bei der jeweiligen Landesveterinärbehörde gestellt. Daneben gibt es eine Reihe weiterer Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen.[11] Wer ohne Genehmigung schächtet, macht sich strafbar und ihn erwartet eine Geldbuße in Höhe von bis zu 25.000 Euro.

In der Praxis werden sehr wenige Ausnahmeregelungen, vorwiegend von muslimischen Gemeinden, beim örtlichen Veterinäramt beantragt. Im Jahr 2022 sei nur im Bundesland Hessen ein Antrag für die Schlachtung von 100 Schafen gestellt worden.[12] Rituell geschächtetes Fleisch wird überwiegend aus dem Ausland importiert.

Tierschutz und religiöses Schlachten in Frankreich

Das Schlachten von Tieren ohne vorherige Betäubung in Frankreich unterliegt einer Genehmigung durch die jeweilige Präfektur. Dies wurde in einem Dekret 2011 festgehalten. Die Genehmigung wird nur Schlachthöfen erteilt, die bestimmte Auflagen erfüllen.[13]

Aufgrund von Tierschutzverstößen gab es in Frankreich immer wieder konkrete Bemühungen, eine Pflicht zur Videoüberwachung in Schlachthöfen zu schaffen.[14] Bisher sind sie für Schlachtbetriebe nicht gesetzlich verpflichtend.[15] Aufgrund eines Tierschutzskandals wurde 2017 die nationale Ethikkommission für Schlachthöfe (le Comité national d’éthique des abattoirs) eingesetzt, dessen Aufgabe es ist, die Politik und Verwaltung in Fragen des Tierschutzes in Schlachthöfen zu beraten.[16]

Halal, Koscher und Zertifizierung

In den europäischen Ländern gibt es unterschiedliche gesetzliche Regelungen darüber, ob es vor der Schlachtung oder nach dem Schnitt eine Betäubung des Tieres geben muss.[17] Tierschutzverbände fordern eine Betäubung vor dem Schächten, um das Leidensrisiko des Tieres niedrig zu halten.[18] Hierzulande finden Halal-Schlachtungen fast ausschließlich mit Vorab-Betäubung statt. Diese Schlachtform wird von vielen Muslimen anerkannt. Ein deutsches Geflügelunternehmen, das zur PHP-Gruppe und zu den vier größten Geflügelschlacht-Konzernen Deutschlands gehört, schlachtet Halal.[19] Deren Geflügelfleisch erhält eine Halal-Zertifizierung durch die HCG (Halal Certification Germany).

In der EU gelten keine einheitlichen Standards für das Halal-Siegel. Das Fleisch geschächteter Tiere muss nicht entsprechend gekennzeichnet werden.[20] Aber immer mehr Produzenten setzen auf eine Qualitätszertifizierung. Für Muslime und Juden spielen artgerechte Aufzucht, Tiertransport, Fair Trade und regionale Produktion eine immer größer werdende Rolle und nehmen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung ein.

Halal und koscheres Fleisch liegen im Trend

Halal und koschere zertifizierte Lebensmittel haben Potenzial und sind Teil eines boomenden Markts: Das Marktvolumen von Halal-Lebensmitteln betrug weltweit im Jahr 2021 1,2 Milliarden US-Dollar und wird bis 2025 laut einer Prognose auf 1,67 Milliarden US-Dollar steigen. Dabei macht der Lebensmittelsektor bisher den größten Anteil von Halal-Produkten und -Dienstleistungen aus.[21]

Immer mehr Lebensmittel im Supermarkt haben ein Koscher-Siegel. Die Nachfrage steigt und die Zertifizierung von koscheren Lebensmitteln eröffnet Unternehmen einen neuen Markt, der in den vergangenen Jahren um mehr als 15 Prozent gewachsen ist.[22] Aber Koscher- und Halal-Lebensmittel sind nicht nur für Gläubige erstrebenswert, sondern werden auch von Konfessionslosen konsumiert. Insbesondere Vegetarier oder Gesundheitsbewusste schätzen koschere Lebensmittel, da sie frei von tierischen Allergenen wie z. B. Schalentieren sind. Diese Produkte werden als reiner und gesünder wahrgenommen.[23]

Sollte die Gesetzesinitiative in Rumänien zum uneingeschränkten Schächten Erfolg haben, würde Rumänien eine Vorreiterrolle in der Europäischen Union einnehmen. Dies könnte ein Beispiel für andere Mitgliedstaaten werden, ihre Ausnahmeregelungen zu überdenken oder zu lockern. Für die Religionsfreiheit wäre dies ein deutliches Signal.

Fußnoten

Fußnoten
1 Vgl. Conference of European Rabbies (2022): Romanian Government issues landmark law to Protect Shechita, Pressemitteilung am 24.11.2022, unter: https://rabbiscer.org/de/news/press-release-romanian-government-issues-landmark-law-to-protect-shechita/ (abgerufen am 18.01.2023).
2 Vgl. Koscherliste Online (o. D.): Kaschrut, unter: http://koscherliste.ordonline.de/informationen-zu-kaschrut/ (abgerufen am 20.01.2023).
3 Die Bezeichnung Halal oder Koscher hat verschiedene Abstufungen und erstreckt sich nicht nur auf die Fleischproduktion, sondern auch auf Milchprodukte, Parve Lebensmittel, Wein oder Öko-Kaschrut.
4 Richtlinie 74/577/EWG vom 18.11.1974 über die Betäubung von Tieren vor dem Schlachten, ABl. L 316 S. 10-11.
5 Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 vom 24.09.2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung, ABl. L 303 S. 1-30.
6 Siehe Erwägungsgrund 18 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 vom 24.09.2009: „[D]aher ist es wichtig, dass die Ausnahme von der Verpflichtung zur Betäubung von Tieren vor der Schlachtung aufrechterhalten wird, wobei den Mitgliedstaaten jedoch ein gewisses Maß an Subsidiarität eingeräumt wird. Folglich wird mit dieser Verordnung die Religionsfreiheit sowie die Freiheit, seine Religion durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen, geachtet, wie dies in Artikel 10 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist.“
7 EuGH, Urteil vom 17.12.2020 – C‑336/19 [ECLI:EU:C:2020:1031], Centraal Israëlitisch Consistorie van België u.a.
8 Vgl. Wagner, Kay (2022): Schächten ohne Betäubung bleibt in Brüssel erlaubt, BRF Nachrichten am 18.06.2022, unter: https://brf.be/national/1615047/ (abgerufen am 20.01.2023).
9 Siehe den Wortlaut: „Ein warmblütiges Tier darf nur geschlachtet werden, wenn es vor Beginn des Blutentzuges zum Zweck des Schlachtens betäubt worden ist.“
10 Siehe den Wortlaut: „Abweichend von Absatz 1 bedarf es keiner Betäubung, wenn […] die zuständige Behörde eine Ausnahmegenehmigung für ein Schlachten ohne Betäubung (Schächten) erteilt hat; sie darf die Ausnahmegenehmigung nur insoweit erteilen, als es erforderlich ist, den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen“.
11 Bsp. Baden-Württemberg, http://mlr.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mlr/intern/Schaechten_Erteilung_einer_Ausnahmegenehmigung.pdf (abgerufen am 18.11.2022).
12 Vgl. Verheyen, Edgar (2023): Illegales Schächten dokumentiert, SWR Beitrag am 24.01.2023, unter: https://www.tagesschau.de/investigativ/report-mainz/illegales-schaechten-101.html (abgerufen 03.02.2023).
13 Vgl. Règles régissant l’abattage des animaux de consommation, 28.07.2022, unter: https://www.senat.fr/questions/base/2022/qSEQ220701929.html (abgerufen am 18.11.2022).
14 Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Bundestags (2018): Videoaufzeichnungen im Schlachthof, unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/553892/3a0a6529bc1d1a6b48e519daf26de4b1/wd-5-042-18-pdf-data.pdf (abgerufen am 18.11.2022).
15 Vgl. Par Le Figaro avec AFP (2022): Caméras dans les abattoirs: la France «moins en avance» que l’Espagne, admet le ministre de l’Agriculture français, am 26.08.2022, unter: https://www.lefigaro.fr/conjoncture/cameras-dans-les-abattoirs-la-france-moins-en-avance-que-l-espagne-admet-le-ministre-de-l-agriculture-francais-20220826 (abgerufen am 18.11.2022).
16 Vgl. Vie Publique (2019): Comité national d’éthique des abattoirs, Pressemitteilung 1.03.2019, unter: https://www.vie-publique.fr/rapport/273450-comite-national-dethique-des-abattoirs (abgerufen am 18.11.2022).
17 Vgl. Law Library – Library of Congress (März 2018): Legal Restrictions on Religious Slaughter in Europe, Karte der Regelungen in den EU-Ländern, Seite 24, unter: https://tile.loc.gov/storage-services/service/ll/llglrd/2018296163/2018296163.pdf (abgerufen 18.01.2023).
18 Vgl. Johannes (2020): Tierwohl und Religion: Der Streit ums Schächten, Lebensmittelmagazin am 14.09.2020, unter: https://www.lebensmittelmagazin.de/kultur/20200914-tierwohl-und-religion-der-streit-ums-schaechten/ (abgerufen am 18.01.2023).
19 Vgl. Wiesenhof (o. D.): Häufige Fragen, unter: https://www.wiesenhof-news.de/faq/ (abgerufen 18.01.2023).
20 Vgl. Halal essen: Wann ist ein Produkt „halal“?, Verbraucherzentrale, 15.03.2022, unter: https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/kennzeichnung-und-inhaltsstoffe/halal-essen-wann-ist-ein-produkt-halal-12283 (abgerufen 18.01.2023).
21 Vgl. Statista (o. D.), unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1139312/umfrage/weltweites-marktvolumen-von-halal-food/ (abgerufen am 18.01.2023).
22 Vgl. IHK Schwerin (o. D.): Marktchancen für Halal und koschere Produkte, unter: https://www.ihk.de/schwerin/international/laender-und-maerkte/monatliche-meldungen-zu-laendern-und-maerkten/marktchancen-fuer-halal-und-koschere-produkte-5490528 (abgerufen 18.01.2023).
23 Ebd.

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