Sind die fetten Jahre vorbei? Politik braucht mehr Religion als gedacht

30. 11. 2023
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Am 14. November 2023 wurde die 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der Evangelischen Kirche veröffentlicht. Welche Auswirkungen hat der Vertrauensverlust in die beiden Volkskirchen in Deutschland auf die Religionspolitik?

Vor zwei Wochen wurde die 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) der Evangelischen Kirche in Deutschland veröffentlicht. Sie untersucht seit 1972 die Bindung an die evangelische Kirche. In der aktuellen Studie wurden zum ersten Mal nicht nur Mitglieder der evangelischen Kirche befragt. Stattdessen erstreckte sich die Umfrage repräsentativ auf die gesamte Bevölkerung, sodass ein Gesamtbild zum Thema Kirche und Religiosität eingefangen werden konnte. Erstmals wurde so in die Studie auch die katholische Kirche miteinbezogen. 

Die Studie macht einen dramatischen Vertrauensverlust in die katholische und evangelische Kirche deutlich. Beim Thema Kirchenbindung geben nur noch 4 Prozent der katholischen und 6 Prozent der evangelischen Befragten an, gläubige Mitglieder ihrer jeweiligen Kirche sowie eng mit dieser verbunden zu sein. Jeweils 32 Prozent betonen, sich zwar als Christen zu fühlen, der Kirche aber keine große Bedeutung beizumessen. 12 Prozent der Katholiken sowie 13 Prozent der Protestanten sagen gar von sich selbst: „Der Glaube sagt mir nichts, ich brauche keine Religion.“[1]

Diese Ergebnisse zeigen, dass die Kirchen einem erheblichen Vertrauensverlust ausgesetzt sind und die Bindung an die beiden großen Kirchen immer stärker nachlässt. Neben dem Vertrauensverlust schwindet aber auch die Religiosität unter den Befragten.

Welchen Einfluss haben diese Ergebnisse auf Religionspolitik?

Ein vertiefter Blick in die Studie macht deutlich, dass für die Befragten die sozialen und gesellschaftlichen Themen im Vordergrund stehen, mit denen sich die beiden Kirchen beschäftigen sollen. Die Kirchen spielen weiterhin eine bedeutende Rolle als zivilgesellschaftliche Akteure und stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Kirche kann gerade in einer atemlosen Zeit der Orientierungslosigkeit ein Anker sein.

Kirche sollte also mehr denn je ihre Rolle als Berater für die Politik begreifen. Sie sollte bei Fragen gesellschaftlicher und sozialer Ungerechtigkeit ihre Stimme erheben und sich in die gesellschaftspolitische Diskussion einbringen. Dafür braucht es eine starke und verlässliche Institution. 

Mit Blick auf die Veränderungen beim kirchlichen Arbeitsrecht, der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der Kirche, bei der Frage nach der Zukunft der Kirchensteuer und des grundgesetzlich verankerten Religionsunterrichtes braucht es weiterhin ein verlässliches und kooperatives Verhältnis von Staat und Kirche.

Auch wenn mit Blick auf die 6. KMU die fetten Jahre der Kirchen vorbei sind, und für manche Betrachter bereits das post-konfessionelle Zeitalter angebrochen ist, bedarf es eines weiteren engen Austausches und der Zusammenarbeit von Politik und Religion. 

Für eine moderne Religionspolitik braucht die Politik verlässliche Intuitionen. Die langen Jahre der vertrauensvollen Zusammenarbeit in gesellschaftspolitischen Fragen haben gezeigt, dass das traditionelle Verhältnis von Staat und Kirche sich bewährt hat. Für eine neue Form der Religionspolitik angesichts des Vertrauensverlusts in die beiden großen Kirchen sollte überdacht werden, wie sie sich den Lebenswirklichkeiten einer säkularen Welt anpassen kann, um auch für Nichtreligiöse und nichtchristliche Religionen anschlussfähig zu sein.

Fußnoten

Fußnoten
1 Vgl. Zimmermann, Steffen (2023): Dramatische Zahlen: So steht es um Glaube und Kirche in Deutschland, katholisch.de am 14.11.2023, unter https://www.katholisch.de/artikel/48668-dramatische-zahlen-so-steht-es-um-glaube-und-kirche-in-deutschland (abgerufen am 29.11.2023).

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