Bedingungen und Optionen für einen islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen

03. 12. 2021

Die Einrichtung von Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ist keine politische Opportunitätsentscheidung des Gesetzgebers, sondern ist in Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes verankert. Dabei ist er nicht als bloße vergleichende Religionskunde ausgestaltet, sondern wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft unterrichtet. Beim islamischen Religionsunterricht kommt es aber zu Ausgestaltungsproblemen, da es in einigen muslimischen Strömungen bisher an einem funktionsfähigen Ansprechpartner mangelt, der Gewähr für die nötige Kooperation mit der Kultusverwaltung bietet. Zur Überwindung der Herausforderungen wurden bisher drei verschiedene Projektmodelle erprobt.

Die Einrichtung von Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ist keine politische Opportunitätsentscheidung des Gesetzgebers. Im Gegenteil, das Grundgesetzes (GG) enthält in der Form einer Institutsgarantie den verfassungsrechtlichen Auftrag, Religionsunterricht an öffentlichen Schulen einzurichten. So besagt Art. 7 Abs. 3 des GG ausdrücklich: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen […] ordentliches Lehrfach“. Dieser Religionsunterricht an öffentlichen Schulen beschränkt sich nach Wortlaut wie Auslegung des Grundgesetzes nicht auf traditionelle christliche Kirchen oder das Judentum, sondern steht grundsätzlich allen Religionsgemeinschaften offen. Demgemäß steht der Religionsunterricht „dem Islam“, als drittgrößte Religionsgemeinschaft Deutschlands, prinzipiell offen.

An deutschen Schulen werden circa 580.000 Schüler islamischen Glaubens unterrichtet; davon nehmen nur etwa 60.000 Schüler an den verschiedenen – sehr heterogen als Pilot- oder Modellprojekte ausgestalteten – Unterrichtsangeboten zu islamischem Religionsunterricht teil, also lediglich 10,3 Prozent der Schüler islamischen Glaubens. Dies ist Ausdruck eines Spannungsverhältnisses: Während der Religionsunterricht nach dem Wortlaut des Grundgesetzes zwar prinzipiell allen Religionsgemeinschaften offensteht, ist das historisch gewachsene Modell des Religionsunterrichts in Deutschland, strukturell und seinem Wesen nach auf die beiden großen christlichen Kirchen zugeschnitten. Es stellt sich demnach die Frage, inwieweit das bisher bestehende Modell des Religionsunterrichts, auf islamischen Religionsunterricht übertragen werden kann.

1. Ausgestaltungsprobleme eines islamischen Religionsunterrichts nach dem hergebrachten Modell

Religionsunterricht, soll nach Art. 7 Abs. 3 des GG als ordentliches Lehrfach unterrichtet werden. Dabei ist er nicht als bloße vergleichende Religionskunde ausgestaltet, sondern wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft unterrichtet (bekenntnisgebunden). Aufgrund der religiös-weltanschaulichen Neutralität des deutschen Staates, sind diese Grundsätze von den Religionsgemeinschaften selbst festzulegen. Aus Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG lässt sich daher als Voraussetzung für die Einrichtung eines Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen ableiten, dass eine Religionsgemeinschaft vorhanden sein muss, die ihre Grundsätze für den Religionsunterricht selbst definiert und die Organe oder Personen benennt, die diese Grundsätze gegenüber den Behörden zur Geltung bringen. Das BVerwG[1] hat 2005 Anforderungen benannt, die eine Religionsgemeinschaft erfüllen muss, um Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 des GG erteilen zu können:

  • ein Mindestmaß an organisatorischer und struktureller Verfasstheit,
  • die Verfügbarkeit geeigneter Lehrkräfte und
  • die Verfassungskonformität der Inhalte des Religionsunterrichts.

1.1. Organisation der Religionsgemeinschaft

Die Religionsgemeinschaft muss also ein Mindestmaß an organisatorischer Struktur aufweisen, um als funktionsfähige Ansprechpartnerin, in Kooperation mit der Kultusverwaltung, Religionsunterricht einführen zu können. Dies impliziert, dass eine Religionsgemeinschaft eindeutige Regelungen zu ihrer religiösen Grundlage benennen kann und eine gewisse Konsistenz der Auslegung ihrer Glaubenssätze aufweist, damit der Religionsunterricht – wie Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG es fordert – „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft“ erteilt werden kann. In einigen muslimischen Strömungen mangelt es bisher an einem funktionsfähigen Ansprechpartner, der Gewähr für die nötige Kooperation mit der Kultusverwaltung bietet. Moscheegemeinden oder ihre Dachverbände weisen nach Organisationsgrad sowie Organisationsart, zuweilen nicht die innere Homogenität, Größe und dauerhafte Konsistenz auf, welche die Zusammenarbeit mit der staatlichen Kultusverwaltung auf lange Zeiträume ermöglichen würde. Bei Moscheegemeinden handelt es sich um lokal beschränkte Zusammenschlüsse von Gläubigen, die gemeinsam ihren islamischen Glauben nach ihrem jeweiligen religiösen Bekenntnis praktizieren. Ihnen fehlt es jedoch zumeist an einer universalen, überörtlichen Ausrichtung, sodass die gelehrten Inhalte teilweise stark voneinander abweichen. Außerdem ist ihnen eine formalisierte Mitgliedschaft fremd, was zu einem fluktuierenden Mitgliederbestand führen kann.

Zwar kommen nach Art.7 Abs. 3 GG grundsätzlich auch Dachverbände als partnerfähige Religionsgemeinschaft in Betracht, hierfür muss jedoch die umfassende Pflege der Religionsausübung, entsprechend dem gemeinsamen Bekenntnis der Gläubigen, im Mittelpunkt der Aufgaben und Aktivitäten des gebildeten Dachverbands stehen. Dies ist nicht bei allen islamischen Dachverbänden der Fall, sie übernehmen nur partiell religiöse Aufgaben. Eine verbindende Funktion nach innen, im Sinne der gemeinsamen Bekenntnispflege – etwa durch eine theologische Lehrautorität auf Ebene des Dachverbands –, ist nicht immer sichergestellt. Die Auswahl der Imame, die Auslegung von Koran und Sunna und anderen religiösen Schriften verbleibt oft in der alleinigen Autorität der lokalen Moscheevereine. Folglich kristallisiert sich auch kein überregionaler Ansprechpartner heraus, der hinreichend Autorität innerhalb des Verbands sowie der einzelnen Moscheen Gemeinden genießt und dessen Aussagen repräsentativ für das religiöse Bekenntnis der Gläubigen stehen.

1.2. Eignung der Lehrkräfte

Die Lehrkräfte des Religionsunterrichts müssen über eine pädagogisch und fachlich angemessene Ausbildung verfügen. Dafür sollen sie grundsätzlich universitär ausgebildet sein. Nur so kann die staatliche Schulaufsicht verlässlich sicherstellen, dass die Kompetenz der Lehrkräfte des Religionsunterrichts vergleichbar ist, mit der Kompetenz der Lehrkräfte anderer ordentlicher Unterrichtsfächer. Während der Staat die pädagogische Ausbildung der Religionslehrer in Eigenregie regeln könnte, ist er für die fachliche Ausbildung der Religionslehrer auf eine Zusammenarbeit mit einer islamischen Religionsgemeinschaft angewiesen. Dies folgt erneut aus dem Erfordernis des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG, dass der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft stattfinden muss.

1.3. Verfassungskonforme Lehrinhalte

Die gelehrten Inhalte des Religionsunterrichts müssen mit der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes konformgehen. Auch wenn die Religionsgemeinschaften die Grundsätze des Religionsunterrichts festlegen und damit seinen Inhalt wesentlich bestimmen, bleibt Religionsunterricht ein staatlicher Unterricht, der nach Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG ausdrücklich der staatlichen Schulaufsicht unterliegt. Der Staat kann demnach Erziehungsziele formulieren, die die Grenzen des zu vermittelnden Unterrichtsstoffs, festlegen. Eine der wichtigsten Erziehungsziele des Schulunterrichts, ist die Sicherstellung der Achtung der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes. Der Staat kann es folglich nicht hinnehmen, wenn und soweit der Inhalt eines wertevermittelnden Unterrichts durch eine Religionsgemeinschaft bestimmt wird, die die grundlegenden Prinzipien in Frage stellt, auf denen eben dieser Staat beruht.[2] Hierzu zählen etwa Bestrebungen zur Einführung einer theokratischen Staatsform, die weitgehende Rechtlosstellung von Frauen oder die Bekämpfung von Andersgläubigen.

2. Modellprojekte als Lösungsoptionen

Zur Überwindung der dargestellten Herausforderungen wurden bisher drei verschiedene Projektmodelle erprobt:
· die Kooperation mit Organisationen, die überwiegend vom Ausland gesteuert werden
· ein staatlich verantworteter Islamunterricht sowie
· sogenannte Gremienmodelle.

2.1. Kooperation mit auslandsgesteuerten Organisationen

Das Land Hessen kooperierte von 2013 bis 2020 mit dem Regionalverband „DITIB Hessen“, welcher eng mit der türkischen Religionsbehörde „Diyanet“ und damit dem türkischen Staat verbunden ist. Die Einflussnahme des türkischen Staats auf den Regionalverband DITIB bewirkt Zweifel an der Beachtung des verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatzes der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates. Auch ausländischen Staaten kann nicht das Recht eingeräumt werden, die Grundsätze der Religionsgemeinschaften i.S.d. Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG zu definieren. Dies würde bedeuten, einem ausländischen Staat Rechte einzuräumen, die der deutsche Staat nach der Regelung des Grundgesetzes selbst nicht hat. Deshalb hat Hessen im April 2020 entschieden, den gemeinsamen islamischen Religionsunterricht ab dem Schuljahr 2020/2021 nicht fortzusetzen und stattdessen, wie auch das Land Bayern, einen staatlich verantworteten „Islamkundeunterricht“ einzuführen.

2.2. Staatlich verantworteter Islam(kunde)unterricht

Der „Islamkundeunterricht“ (oder auch „Islamischer Unterricht“), ist allein vom Staat ausgerichtet bzw. verantwortet und vermittelt Wissen über die Religion des Islam. Islamische Organisationen sind an der Veranstaltung des Unterrichts nicht beteiligt (z.B. Berlin). Allenfalls wird ihre Expertise in beratender Funktion bei der Erstellung der Lehrpläne durch das Kultusministerium des Landes eingeholt. Bei diesem Konzept sind Verstöße der Lehrinhalte gegen Verfassungsgrundsätze de facto ausgeschlossen sind, da der Staat die Unterrichtsinhalte selbst festlegt. Auch treten Probleme im Zusammenhang mit der Religionsgemeinschaft als Kooperationspartner nicht auf, weil islamischen Organisationen oder Religionsgemeinschaften nur beratend beteiligt sind. Diese Konzeption entspricht nicht exakt dem Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG, obwohl er den Islam zum Gegenstand hat, da sein Inhalt nicht bekenntnisgebunden ist. Das Modell versucht folglich, die Probleme des islamischen Religionsunterrichts in Form einer Alternativregelung zu lösen, ohne selbst als Religionsunterricht gelten zu wollen. Aus der Neutralitätspflicht des Staates in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV folgt, dass der Staat selbst nicht befugt ist, die Glaubens- und Bekenntnisinhalte einer Religion zu bewerten oder sich diese zu eigen zu machen. Dies könnte auch durch die neutral-beschreibende Wissensvermittlung über den Islam im Rahmen der Islamkunde tangiert sein, wenn die Bekenntnisinhalte der Religion indirekt ausgewählt oder gewertet werden. Denn in diesem Modell muss der Staat entscheiden, welche Inhalte und Auslegung von Koran und Sunna, welche religiösen Riten und Vorschriften er in seinem Unterricht vorstellt und beschreibt.

2.3. Gremienmodelle

Die Gremienmodelle versuchen hingegen einen bekenntnisgebundenen Religionsunterricht im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG anzubieten. Nach diesem Konzept tritt ein vom Staat eingerichtetes Gremium, an die Stelle der Religionsgemeinschaft aus Art. 7 Abs. 3 GG und nimmt deren Aufgaben in Bezug auf den Religionsunterricht wahr. Ein solcher Ansatz wird vor allem in Nordrhein-Westfalen seit dem Jahr 2012 praktiziert. Er reichte von der paritätischen Besetzung von Mitgliedern des Gremiums durch Staat und Religionsgemeinschaften (Beiratsmodell), bis hin zu der ausschließlichen Besetzung des Gremiums durch die Religionsgemeinschaften (Kommissionsmodell). Dabei ist von großer Bedeutung, dass das Gremium eine hinreichende Unabhängigkeit von staatlicher Beeinflussung oder Steuerung aufweist. Die an dem Gremium beteiligten Akteure sollten mit Blick auf Neutralitätspflicht und religiöse Selbstbestimmung nicht zu weit durch staatlich-politische Auswahl vorherbestimmt sein. Auch bei Gremienmodellen stellen die eingesetzten Gremien lediglich ein Substitut zur Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG dar, da auch hier eine umfassende Pflege der Religionsausübung nicht im Mittelpunkt steht.

3. Gremienmodelle erproben und verbessern

In seiner ergebnisoffenen Formulierung, bietet Art. 7 Abs. 3 GG grundsätzlich ausreichend Spielraum, islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen einzuführen. Die Konzeption eines bekenntnisgebundenen Islamunterrichts, bei dem die Religionsgemeinschaft die zu vermittelnden religiösen Lehrinhalte selbst festlegt, unterliegt jedoch noch immer praktischen Herausforderungen. Die Voraussetzung funktionsfähiger Ansprechpartner für die Kooperation mit den Kultusverwaltungen begegnet nach wie vor Problemen bei Organisationsgrad, Organisationsart, innerer Homogenität, Größe und dauerhafter Konsistenz. Damit der Staat seine religiöse Neutralitätsverpflichtung wahren kann, ist er darauf angewiesen, dass die Kooperationspartner repräsentativ für das religiöse Bekenntnis der Gläubigen stehen. Um der institutionellen Verpflichtung aus Art. 7 Abs. 3 GG nachzukommen, könnten substituierende Gremienmodelle und deren weitere Erprobung und Verbesserung geraten sein.

Fußnoten

Fußnoten
1 BVerwGE 123, 49.
2 BVerwGE 123, 49 (73).

Kommentare

Dieser Beitrag hat keine Kommentare.

Schreiben Sie einen Kommentar

Sie können gern den Beitrag kommentieren. Ihnen stehen maximal 600 Zeichen zur Verfügung. Die EIR-Redaktion behält sich die Veröffentlichung vor.