Islamverbände im Abseits

16. 10. 2023

Die Reaktionen der deutschen Islamverbände auf den Terrorangriff der Hamas auf Israel haben für berechtigte Kritik gesorgt. Diese Kritik stellt weder eine Einmischung in die Religionsfreiheit noch eine Überschreitung von Zuständigkeiten dar. Auch religionspolitisch sind die Islamverbände zum Kampf gegen Israelhass und Antisemitismus verpflichtet.

Die Reaktionen der deutschen Islamverbände auf den Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 waren enttäuschend, aber erwartbar. Einige distanzierten sich in Presseerklärungen und Freitagspredigten zwar von den Gräueltaten der Islamisten, viele riefen aber lediglich zu „Zurückhaltung auf beiden Seiten“ auf und erinnerten an den koranischen Auftrag zum Schutz des menschlichen Lebens und zur Wahrung des Friedens. Zur eindeutigen Solidarität mit Israel konnte sich kein Verband durchringen. Erwartbar war das deshalb, weil viele Verbände ein Problem mit Israelhass und Antisemitismus haben.  

Der größte deutsche Moscheeverband, DITIB, ist schon seit langem in der Kritik, Israelhass und Antisemitismus in den eigenen Reihen zu dulden. Als eng mit der türkischen Religionsbehörde verbandelter Verein muss er sich außerdem der Tatsache stellen, dass der Vorsitzende dieser Behörde in der zentralen Freitagspredigt des Landes am 13. Oktober 2023 Israel als „rostigen Dolch, im Herzen der islamischen Geografie“ bezeichnete. Das ist der kaum verklausulierte Wunsch nach der Vernichtung des jüdischen Staates. Ein deutscher Islamverband kann mit keiner Institution verbunden sein, die solche Aussagen trifft. 

In der Kritik ist auch der kleine, aber politisch und medial sehr sichtbare Zentralrat der Muslime (ZMD). Auch hier gab es in Reaktion auf den Hamas-Terror nur einen äußerst zurückhaltenden Aufruf zum Gewaltverzicht und die Täter-Opfer-Umkehr einer Anklage gegen Siedler und israelische Armee. Das ist wenig überraschend. Seit langem steht beim ZMD der Vorwurf enger Verbindungen zu ultranationalistischen, antisemitischen und antiisraelischen Akteuren und Organisationen im Raum. Ähnliches trifft auch auf die islamische Gemeinschaft  Millî Görüş (IGMG) zu. Die IGMG-Führung hat sich zwar vom antisemitischen Gedankengut ihres Gründungsvaters Erbakan distanziert, sie bleibt aber Teil einer globalen Bewegung, die in Teilen von antisemitischem Gedankengut geprägt ist.  

Gesellschaftliche Verantwortung 

Politiker fordern jetzt zu Recht eine klare Haltung der Verbände. Die Morde der Hamas bedeuten nicht nur eine Eskalation im Nahostkonflikt. Wenn auf deutschen Straßen gefeiert wird, dass Terroristen im Namen des Islam Juden ermorden, weil sie Juden sind, und wenn Islamverbände hierauf nur mit relativierenden und verharmlosenden Stellungnahmen reagieren, hat das auch eine religionspolitische Dimension. Das deutsche Religionsverfassungsrecht geht von einer gesellschaftlichen Mitverantwortung der Religionsgemeinschaften für ein friedliches Zusammenleben aus. Nach dem Grundsatz der „positiven Neutralität“ fördert der Staat das religiöse Leben in Deutschland. Im Gegenzug wirken die Religionsgemeinschaften an religiöser Erziehung und Wertebildung mit und bringen ihre Positionen in politische und gesellschaftliche Debatten und Prozesse ein. Das religionspolitische Modell der Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften setzt also gegenseitige Einmischung und Übernahme von Verantwortung voraus. Die Einbeziehung in dieses Kooperationsmodell ist allerdings nicht zwingend. Eine Reihe von evangelikalen Gruppierungen verzichtet bewusst auf die Aufnahme von Kooperationsbeziehungen mit dem Staat und die damit verbundenen Rechte und Privilegien.  

Die Islamverbände haben sich zum Großteil anders entschieden. Sie erheben schon seit langem den Anspruch, Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes zu sein. Dieser Anspruch wird von Fachleuten und Juristen in den allermeisten Fällen bislang zurückgewiesen. Dennoch sind die Islamverbände in unterschiedlichen Kontexten in die religionspolitischen Kooperationsstrukturen der Bundesrepublik eingebunden. Sie sind Partner in den Beiräten von Universitäten und Behörden, sitzen am Tisch der Deutschen Islamkonferenz, erhalten indirekt öffentliche Mittel und werden medial und politisch als Ansprechpartner der Muslime in Deutschland inszeniert. Wenn Politik und Gesellschaft jetzt auf die politische und gesellschaftliche Verantwortung der Islamverbände hinweisen und Konsequenzen fordern, ist das also weder eine Verletzung der Trennung von Staat und Religion noch eine Einmischung in die Religionsfreiheit oder eine Überschreitung von Zuständigkeiten.  

Neuer staatlicher Umgang 

Der aktuelle politische und gesellschaftliche Druck auf die Islamverbände ist also nicht nur dringend notwendig, sondern auch völlig legitim. Unabhängig von der Frage, ob es sich bei den Verbänden um Religionsgemeinschaften, Kulturvereine oder Lobbyverbände handelt – die Islamverbände organisieren religiöses Leben in Deutschland und sind in vielen Bereichen Ansprechpartner staatlicher Stellen und Akteure. In dieser Funktion stehen sie in der Verantwortung, die verfassungsmäßige Ordnung aktiv mitzutragen und die Werte des Grundgesetzes gegenüber ihren Mitgliedern zu vermitteln. Dies bedeutet zuallererst, dass sie gegen das Dulden, Mittragen und Fördern von Israelhass und Antisemitismus in den eigenen Reihen und darüber hinaus endlich glaubhaft und nachhaltig aktiv werden müssen. Es bedeutet aber auch, sich vollständig und öffentlich von allen personellen, finanziellen und ideologischen Verbindungen ins Ausland zu trennen, die in antiisraelische, antisemitische und antidemokratische Hetze verstrickt sind. 

Dies setzt auf Seiten von Staat und Gesellschaft Druck, Klarheit, Wachsamkeit und Sachkenntnis voraus. Dass jetzt Rufe nach einer Einstellung jeglicher Kooperationsbeziehungen zwischen Staat und Islamverbänden laut werden, ist verständlich, aber unrealistisch. Vermutlich ist es auch nicht zielführend. Die über zweitausend Moscheen in Deutschland sind zum Großteil unter Kontrolle der Verbände. Islamisches Leben in Deutschland ist ebenfalls zum Großteil Verbandsleben.  

Konkrete Forderungen 

Zielführend wäre es allerdings, wenn das für Kooperationsbeziehungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften konstitutive Mitwirken an den diesen Beziehungen zugrundeliegenden Verfassungswerten endlich von beiden Seiten ernst genommen würde. Der Ball liegt also nicht nur im Feld der Islamverbände. Auch Bund und Länder müssen die Voraussetzungen von Kooperationen mit den Islamverbänden präziser fassen und im Falle des Nicht-Vorliegens dieser Voraussetzungen Konsequenzen ziehen und die Zusammenarbeit beenden.  

Ein explizites Bekenntnis zum Existenzrecht Israels und eine Distanzierung von Israelhass und Antisemitismus sollte deshalb nicht nur erwartet, sondern aktiv eingefordert und formal Grundlage von Kooperationsbeziehungen mit allen Religionsgemeinschaften werden. Ähnliches gilt für Bezüge und Verbindungen zu Akteuren im Ausland. Ein grundsätzliches Verbot träfe viele unverdächtige Religionsgemeinschaften, wäre leicht zu umgehen und mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit kaum vereinbar. Ausländische Finanzierungen deutscher Religionsgemeinschaften können aber nur dann akzeptabel sein, wenn die betreffenden internationalen Geldgeber nicht gegen die Werte des Grundgesetzes arbeiten und Israelhass und Antisemitismus verbreiten. Schließlich müssen Religionsgemeinschaften verpflichtet werden, in den von ihnen betriebenen Gemeinden und Bildungseinrichtungen sowie bei den von ihnen mitverantworteten Angeboten für Theologie und Religionsunterricht auf Demokratiebildung und den Abbau von Israelhass und Antisemitismus aktiv hinzuwirken.  

Kommentare

  • Heiko Heinisch
    Verfasst am 25.10.2023 um 12:08 Uhr Antworten

    Da ich gerade eine größere Studie zur Milli Görüş – von den ideologischen Wurzeln in der Türkei der 1930er über die Etablierung in der Türkei und in Europa bis zu aktuellen ideologischen Positionen – veröffentlicht habe, muss ich in 1 Punkt widersprechen: Die IGMG-Führung hat sich nie wirklich vom Antisemitismus Erbakans distanziert. Das ist auch kaum möglich, solange er weiter innerhalb der Organisation verehrt wird, denn sein gesamtes Denken war von Antisemitismus durchzogen. Die Studie finden Sie hier: https://www.dokumentationsstelle.at/fileadmin/dpi/publikationen/DPI_Studie_Die_IGMG.pdf

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