Fragwürdiges Verbot medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbrüche im Christlichen Klinikum Lippstadt

01. 09. 2025

Nach der Fusion einer evangelischen und einer katholischen Klinik in Lippstadt zu einem „Christlichen Krankenhaus“ hat die Klinikleitung die Durchführung medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbrüche untersagt. Das Arbeitsgericht Hamm hielt das Verbot für statthaft und verwies auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Dies geschah zu Unrecht. Es ist keine Glaubensnorm vorhanden, auf die sich die fusionierte Klinik korrekterweise stützen konnte. Außerdem darf die gesetzliche Erlaubnis von Schwangerschaftsabbrüchen gemäß § 218 Abs. 2 StGB nicht willkürlich eingeschränkt werden.

1. Die Kontroverse in Lippstadt

Im Jahr 2024 haben sich in Lippstadt/Westfalen eine evangelische und eine katholische Klinik aufgrund wirtschaftlicher Zwänge zusammengeschlossen. Im neuen Klinikum Lippstadt GmbH – Christliches Krankenhaus sollen nun ausschließlich das Arbeitsrecht der katholischen Kirche sowie die katholischen Moralnormen gelten. Hiervon ausgehend untersagte die Geschäftsführung dem Chefarzt der Gynäkologie Prof. Dr. Joachim Volz am 15. Januar 2025 per Dienstanweisung, weiterhin Schwangerschaftsabbrüche gemäß medizinischer Indikation durchzuführen. Zu ihnen gehören Abbrüche, die deshalb erfolgen, weil durch pränatale Diagnostik an einem Fetus eine Schädigung oder Behinderung festgestellt worden ist. Konkret ging es etwa um einen Fetus, dem Teile des Gehirns fehlten (Anencephalie), oder um einen genetisch schwerst geschädigten Fetus mit Triploidie. Gemäß § 218a Abs. 2 StGB dürfen solche Abbrüche bis zum Ende der Schwangerschaft durchgeführt werden. Sie sind nicht nur straffrei, so wie es bei Abbrüchen in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten nach einer Pflichtberatung der Fall ist. Laut Gesetz sind sie vielmehr rechtmäßig.

Neuerdings darf der Chefarzt diese rechtmäßigen Schwangerschaftsabbrüche in Lippstadt nicht mehr vornehmen. Die katholische Kirchenlehre bezeichnet jede Abtreibung als Sünde und als Mord.[1] Papst Franziskus sprach von Auftragsmorden. Die Begründung ergibt sich aus der katholischen Lehre, dass Gott dem Embryo bei der Empfängnis eine unsterbliche Geistseele eingebe, durch die er absolut unantastbar werde. Der katholischen Doktrin folgend möchte das Lippstädter Klinikum Schwangerschaftsabbrüche jetzt äußerstenfalls nur noch dulden, falls Leib und Leben der Frau unmittelbar gefährdet sind und der Fetus auf keinen Fall physisch am Leben erhalten werden kann. 

Demgegenüber sieht sich der Chefarzt Volz den Frauen verpflichtet, die sich in großer persönlicher Bedrängnis befinden, nachdem sie von der Schädigung des Fetus erfahren haben. In einer Online-Petition, die in sechs Wochen von fast 300 000 Menschen unterschrieben wurde, betonte er, aus seiner Sicht sei es unterlassene Hilfeleistung, wenn er Frauen in ihrer Notlage „im Stich lassen und sie kilometerweit wegschicken“ müsse.[2] Daher legte er beim Arbeitsgericht Hamm Klage (AG Hamm) ein. Er argumentierte, dass der bisherige evangelische Klinikträger Schwangerschaftsabbrüchen keinerlei Hürden in den Weg gelegt habe und dass gemäß § 613a BGB bei einem Betriebsübergang Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen unzulässig seien.

Das AG Hamm hat seine Klage am 8. August 2025 abgewiesen.[3] Es ist aber nicht anzunehmen, dass dieses erstinstanzliche Urteil Bestand haben wird. 

2. Fehlende kirchlich-religiöse Grundlage für das Verbot

Inhaltlich beruft sich das AG Hamm darauf, dass der deutsche Staat den Kirchen in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV ein Selbstbestimmungsrecht zugestanden hat und dass er das Selbstverständnis einer Kirche insoweit respektiert. Sodann zitiert es den Gesellschaftsvertrag, den die evangelische und die katholische Kirche im Jahr 2024 bei ihrer Fusion geschlossen haben. Diesem zufolge seien für die Klinik ein „christlich-ökumenisches Profil“ und ein „christliches Menschenbild“ maßgebend, die die „besonderen Anforderungen und Erfordernisse beider Konfessionen“ zum Ausdruck bringen sollen. 

Anders als das AG Hamm meint, ist das Verbot medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbrüche auf dieser Grundlage allerdings nicht haltbar. Vor der Fusion hatten die damalige evangelische und die katholische Klinik die Glaubens- oder Moralauffassung ihrer jeweiligen Kirche zugrunde gelegt. Deshalb waren im evangelisch getragenen Klinikum Schwangerschaftsabbrüche statthaft gewesen. Nach der Fusion ist jedoch keine Kirche oder Religionsgemeinschaft mehr vorhanden, auf deren Glaubenslehre das neu gegründete „Christliche Krankenhaus“ sich stützen könnte. Denn es gibt keine „christliche“ Kirche, sondern nur die Konfessionskirchen. Folgerichtig ist „schlicht keine ökumenische Glaubenslehre“ vorhanden, „die Schwangerschaftsabbrüche untersagte“.[4] Ganz im Gegenteil: Seit den 1970er Jahren respektieren die deutschen evangelischen Kirchen, dass sich eine Frau im Schwangerschaftskonflikt ihrer persönlichen Überzeugung gemäß ggf. auch für einen Abbruch entscheidet.[5]

Die Lehre von der Beseelung des Embryos durch Gott, mit der die katholische Doktrin das absolute Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen begründet, hat der Protestantismus ohnehin nie geteilt. 

Zum Vergleich: In den letzten Jahren bemühte man sich im Bundesland Niedersachsen, den evangelischen und den katholischen Religionsunterricht zu einem „Christlichen Religionsunterricht“ zusammenzuschließen. Jedoch existiert keine christliche Kirche, die nach Art. 7 Abs. 3 GG der Träger eines solchen Unterrichts sein könnte. Daher hat das hierzu eingeholte Rechtsgutachten darauf bestanden, dass in einem sog. Christlichen Religionsunterricht zu unterscheiden sei zwischen Lehren, die beide Konfessionen teilen, und den Auffassungen, die entweder von der evangelischen oder von der katholischen Kirche vertreten werden. Für die Schüler*innen müsse im Unterricht stets klar erkennbar sein, in welchem Sinne sie jeweils unterrichtet werden.[6]

D. h.: Auf eine gemeinsame „christliche“ Lehre kann sich das Christliche Klinikum Lippstadt für sein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen gemäß medizinischer Indikation nicht stützen.

Nun bringt das AG Hamm aber noch ins Spiel, dass das fusionierte Krankenhaus neuerdings „katholisch geführt“ werde. Daher sei für alle Beschäftigten die katholische Moraldoktrin verbindlich. 

Hierzu muss indessen die Verfassungsrechtsprechung berücksichtigt werden. Das Bundesverfassungsgericht schreibt vor, dass die Pflichten, die bei kirchlichen Beschäftigungsverhältnissen gelten, den Beschäftigten nicht von einer einzelnen Einrichtung auferlegt werden dürfen, sondern sich „nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben“ richten müssen.[7] Diese Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts ist gleichfalls einschlägig, wenn – wie es in Lippstadt geschah – eine lokale evangelische Einrichtung bei einer Fusion auf ihren evangelischen Standpunkt verzichtet und sie sich der katholischen Morallehre unterwirft. Im Urteil des AG Hamm findet sich keine Aussage, dass sich die leitenden Organe der verfassten Kirche, hier die Kirchenleitung und Synode der Evangelischen Kirche von Westfalen, mit der Übernahme der katholischen Schwangerschaftsabbruchsdoktrin in Lippstadt einverstanden erklärt hätten. Angesichts der evangelischen Auffassungen zur Gewissensfreiheit, zum Selbstbestimmungsrecht von Patientinnen und zum Schwangerschaftsabbruch ist es theologisch auch vollkommen unvorstellbar, dass eine evangelische Landeskirche eine derartige Zustimmung erteilt hätte.

Wie immer man es wendet: Unter Berufung auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht besitzt das Verbot, das im Christlichen Klinikum Lippstadt gegen medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche verhängt wurde, keine Basis. 

3. Weitere Probleme 

Das Urteil des AG Hamm gibt Anlass für zahlreiche weitere Rückfragen. Nur drei Punkte seien kursorisch erwähnt.

1. Das AG Hamm stützte sich auf das in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleistete kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Abgesehen von der voranstehend geschilderten Problematik hat das AG Hamm übersehen, dass die Kirche dieses Recht laut Art. 137 Abs. 3 WRV nur im Rahmen des „für alle geltenden Gesetzes“ ausüben darf. Ein derartiges Gesetz ist § 218 Abs. 2 StGB. Es erklärt Schwangerschaftsabbrüche nach medizinischer Indikation für rechtmäßig. Eine willkürliche Einschränkung dieses Gesetzes ist nicht haltbar, weil das öffentliche Gesundheitswesen die medizinische Versorgung beim Schwangerschaftsabbruch adäquat gewährleisten muss[8] und weil die individuellen Grundrechte der Patientinnen geschützt werden müssen. Dies hebt auch die für Lippstadt zuständige Ärztekammer Westfalen-Lippe hervor.[9]

2. Die Klinikleitung hat dem Chefarzt Prof. Volz anlässlich der Fusion nicht nur untersagt, im Klinikum Lippstadt Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Vielmehr sprach sie ein solches Verbot zusätzlich für seine kassenärztlich zugelassene Praxis in Bielefeld aus, in der er Kinderwunschbehandlungen mithilfe von außerkörperlicher Befruchtung vornimmt. Schwangerschaftsabbrüche haben in Bielefeld nie stattgefunden. In der von Volz angekündigten Berufungsklage wird eine Rolle spielen, dass auch dieses zweite Verbot, das das AG Hamm ebenfalls für rechtens erklärt hat, auf tönernen Füßen steht.

3. Das AG Hamm ließ unberücksichtigt, dass die katholische Kirche ihr Nein zu Schwangerschaftsabbrüchen im Sinn von § 218a Abs. 2 StGB deutschlandweit sogar in ihren eigenen Einrichtungen nicht durchhält. In seiner beim AG Hamm eingereichten Klage hatte Volz Beweismaterial bereitgestellt, das die Umgehung des Verbots in verschiedenen katholischen Kliniken und damit seine Inkonsistenz belegt. Die katholische Kirche verhält sich selbstwidersprüchlich. Schon aus diesem Grund hätte das AG Hamm dem katholisch geführten Klinikum in Lippstadt nicht Recht geben dürfen. 

Im Fazit bedeutet dies: Das Verbot, das das Christliche Klinikum gegen rechtmäßige Schwangerschaftsabbrüche ausgesprochen hat, lässt sich aus einer ganzen Reihe von Gründen nicht halten. Die Gründe konnten hier nur ausschnitthaft angesprochen werden. Keinesfalls darf es sich wiederholen, dass Kliniken zu derartigen katholischen Bedingungen fusionieren.

Fußnoten

Fußnoten
1 Vgl. Papst Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae, 25.03.1995, Nr. 58.
2 J. Volz: Ich bin Arzt & meine Hilfe ist keine Sünde: Stoppt die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen!, Petition auf innit.it, unter: https://innn.it/keinmord (abgerufen am 27.08.2025).
3 AG Hamm, Urt. v. 08.08.2025 – 2 Ca 182/25 = https://nrwe.justiz.nrw.de/arbgs/hamm/arbg_hamm/j2025/2_Ca_182_25_Urteil_20250808.html (abgerufen am 27.08.2025). Unter „Entscheidungsgründe“ heißt es in dem Urteil fälschlich, dass Schwangerschaftsabbrüche gemäß medizinischer bzw. medizinisch-sozialer Indikation „nach staatlichem Recht möglicherweise nicht strafbar, gleichwohl aber rechtswidrig sind“. Solche Abbrüche sind jedoch unstrittig rechtmäßig bzw. gerechtfertigt; hierzu statt vieler: Merkel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, Strafgesetzbuch, 6. Auflage 2023, § 218a Rn. 2, 81 f. Das Urteil des AG Hamm enthält noch weitere z. T. gravierende Flüchtigkeitsfehler oder Sachirrtümer, auf die im Folgenden aber nicht einzeln hingewiesen wird.
4 A. K. Mangold: Warum es kein gemischt-konfessionelles religiöses Weigerungsrecht bei Schwangerschaftsabbrüchen gibt, Verfassungsblog.de am 06.08.2025, unter: https://verfassungsblog.de/abtreibung-weigerungsrecht-krankenhaus (abgerufen am 27.08.2025).
5 Vgl. z. B. Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zu den Rechtsfragen des Schwangerschaftsabbruchs, 17.03.1972, Nr. II.3. S. 2.
6 Hinweise hierzu in: H. Kreß: Religionsunterricht 4.0 und Christlicher Religionsunterricht? Neuer Diskussionsbedarf zum konfessionellen Religionsunterricht aufgrund aktueller Publikationen, Weltanschauungsrecht Aktuell Nr. 10, 23.10.2024, bes. S. 9, unter: https://weltanschauungsrecht.de/sites/default/files/download/weltanschauungsrecht_aktuell_10_23_10_2024_0.pdf (abgerufen am 27.08.2025).
7 BVerfG, Beschl. v. 4.06.1985 – 2 BvR 1703/83 = BVerfGE 70, 138 (139), 2. Leitsatz.
8 Vgl. hierzu nur BVerfG, Urt. v. 28.05.1993, 2 BvF 2/90 = BVerfGE 88, 203 (328).
9 Vgl. Ärztekammer Westfalen-Lippe, Pressemitteilung v. 13.05.2025, unter: https://www.aekwl.de/presse/kommunikation/newsroom/#/pressreleases/kammerpraesident-gehle-warnt-frauen-in-ausnahmesituation-nicht-alleine-lassen-3386092 (abgerufen am 27.08.2025).

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