Das „I“ und das „C“ in der Politik

18. 02. 2022
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Seit langem wird über das Verhältnis von Islam und Politik diskutiert und gestritten. Immer wieder taucht in diesen Diskussionen eine Fußnote auf, die oft weder erläutert, belegt oder vertieft wird. Gemeint ist die Andeutung oder Zurückweisung von Parallelen zwischen einem – wie auch immer definierten – „Politischen Islam“ und dem „Politischen Christentum“ bzw. der Christlichen Demokratie.

Konjunktur hatte die Idee einer solchen Parallele zunächst im Zuge der Anpassungsversuche islamistischer Bewegungen an die politischen Systeme im Nahen Osten in den 1990er und 2000er Jahren. Die damaligen Hoffnungen auf die Etablierung „muslimisch-demokratischer Parteien“ nach dem Vorbild der Christlichen Demokratie sind allerdings weitgehend verflogen. Dennoch steht die Idee einer Analogie vom „I“ und vom „C“ in der Politik weiter im Raum. In Deutschland wurde er zuletzt in der Debatte über den Begriff „Politischer Islam“ Anfang 2021 von verschiedenen Seiten aufgegriffen.

Wie weit trägt diese Analogie? Wieviel Islam darf, soll und kann in der Politik stecken und wieviel Christentum steckt eigentlich in der CDU? Zunächst zur Christlichen Demokratie. So sehr sie ihre Wertorientierung aus dem christlichen Menschenbild bezieht, so sehr gehörte es entgegen der verbreiteten Wahrnehmung nie zum Selbstverständnis der CDU, eine religiöse Partei zu sein oder kirchliche Positionen eins zu eins in der Politik zu vertreten. Als die Idee einer christlich demokratischen Partei in Deutschland geboren wurde, hatten Politiker wie Adam Stegerwald oder Konrad Adenauer zwei zentrale Anliegen: erstens die Überwindung konfessioneller Gegensätze und zweitens die Ansprache breiter Bevölkerungsteile jenseits religiöser, ethnischer und sozialer Zugehörigkeiten. Diese beiden Leitideen, Überkonfessionalität und der Gedanke der integrativen Volkspartei, wurden nach dem Krieg die Gründungsideen der deutschen C-Parteien.

Es gab allerdings immer wieder Versuche, aus der Christlichen Demokratie eine „kirchlich-christliche Partei“ zu machen. Für den frommen Katholiken Konrad Adenauer war dies politisch keine Option. Ihm war klar, dass mit der Übernahme kirchlicher Standpunkte und „frommer“ Positionierungen in Deutschland angesichts der schon damals fortschreitenden Säkularisierung keine Mehrheiten zu holen waren. Stattdessen war sein Ziel auch die noch skeptischen liberalen Zeitgenossen für die CDU zu gewinnen, indem ihre politischen Vorstellungen mit den eher religiös motivierten Anhängerinnen und Anhängern der CDU in der Balance gehalten wurden. Der Klebstoff dieser Balance war das christliche Menschenbild, das für Adenauer nicht zuletzt auch einen antitotalitären Impetus hatte. Auch das erste Grundsatzprogramm der CDU, das bis heute die Verankerung der Partei im Christentum als „Wertequelle“ definiert, stellt 1978 klar, dass sich aus christlichem Glauben kein politisches Programm ableiten lässt.

Wie aber könnte islamisches Denken als politische „Wertquelle“ im demokratischen Rechtsstaat genutzt werden? Religiöse Werte begründen persönliche Lebensführung ebenso wie politische Überzeugungen und übersetzen sich damit in innerweltliches Handeln. Aber so wie eine Politisierung der Religion in der Christlichen Demokratie als falscher Weg erkannt wurde, ist auch eine Politisierung des Islam im gegenwärtig vorherrschenden Verständnis wenig hilfreich. Die Christliche Demokratie beruft sich auf ein eher kulturchristliches Verständnis. Eine Vergleichbarkeit mit dem „Politischen Islam“ wäre nur dann möglich, wenn sich dieser an einem demokratischen und rechtsstaatlichen „kulturislamischem“ Ideal orientieren würde. Dass sich ein solches Ideal bislang nicht wirklich bilden, geschweige denn breites Gehör verschaffen konnte, liegt vor allem an den politischen Verhältnissen in vielen muslimischen Ländern, die wenig Raum für eine Neubesinnung über das Verhältnis von Islam und politischer Verantwortung und für mögliche Impulse für ein „islamisch-demokratisches Projekt“ lassen.

Dabei gibt es vielfältige Ansätze einer demokratischen Wertediskussion auf Seiten muslimischer Denker. Vor allem der islamische Grundwert der Gerechtigkeit bietet zahlreiche historische und zeitgenössische Anknüpfungspunkte. Diese aufzugreifen und zur Begründung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Säkularität zu nutzen, wäre vor allem die Aufgabe muslimischer Denker, die in freiheitlich demokratischen Rechtsstaaten ihre politische Heimat haben.

Wer oder was bietet aber den institutionellen Rahmen um solche Überlegungen gegenüber Politik und Gesellschaft zu formulieren und zu vertreten? Auf christlicher Seite sind es nicht die C-Parteien, die dies tun, sondern die Kirchen. Auf muslimischer Seite wäre dies weder durch eine „I-Partei“ oder durch Formen eines „politischen Islam“ zu gewährleisten, sondern durch von in Deutschland beheimateten und mit dem deutschen Staat kooperationsfähigen muslimischen Religionsgemeinschaften. Nur sie könnten muslimische Werte und Positionen glaubhaft und grundgesetzkonform in die Politik einbringen. Die Herausforderung für den Islam in Deutschland besteht also nicht darin sich als politische Kraft zu etablieren, sondern vielmehr darin sich als kooperationsfähige Religionsgemeinschaft(en) zu organisieren.


Eine längere Version dieses Beitrags erschein in der Herder-Korrespondenz, Heft 11/2021

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