Das kann nicht das letzte Wort sein – Härtefonds für jüdische Zuwanderer sozial- und geschichtspolitisch völlig unzureichend

28. 11. 2022

Mit Kabinettsbeschluss vom Freitag, den 18. November 2022, hat die Bundesregierung auf die Freigabe des Haushaltsausschusses für 500 Millionen Euro zur Abmilderung für Härtefälle in der Ost-West-Rentenüberleitung, für jüdische Kontingentflüchtlinge und Spätaussiedler im Rahmen der Bereinigungssitzung reagiert. In der Haushaltsdebatte stieß das Konzept aus dem Bundessozialministerium bei Union wie Linken gleichermaßen auf Kritik: Von der einstmals in den Bundeshaushalt eingestellten Milliarde bleibt nur die Hälfte übrig; von dem jahrelang in Aussicht gestellten Pro-Kopf-Betrag von mindestens 10.000 Euro gerade mal ein Viertel.

Der Härtefonds[1] ist für die jüdischen Zuwanderer aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion völlig unzureichend. Ihre Arbeitsleistung eines ganzen Lebens soll nun mit einer Einmalzahlung von gerade einmal 2.500 Euro zusätzlich zur Grundsicherung im Alter abgegolten sein, egal wie viel sie gearbeitet haben. Traurig, aber wahr: Für diese Summe bekommt man noch nicht einmal einen Grabstein. Und wer nach September 2023 bedürftig wird, geht ohnehin wieder leer aus.

Das kann und darf nicht das letzte Wort sein! „Man bekommt das Gefühl, dass die dramatische Lage der Menschen nicht richtig ernst genommen wird“, kommentierte Zentralratspräsident Schuster bitter die Verkündung der Schmalspurlösung der Ampel.[2] Das Tikvah Institut hat angekündigt, sich weiter dafür einzusetzen, dass Bundestag und Bundesregierung ihrer historischen Verantwortung gegenüber den jüdischen Zuwanderern gerecht werden.[3]
In Sonntagsreden der Bundes- und Landespolitik wird über das Geschenk wieder erblühenden jüdischen Lebens in Deutschland frohlockt. Aber bei der Altersarmut in den jüdischen Gemeinden wird taten- und herzlos zugesehen. Man wünschte sich, die wohlfeilen Bekenntnisse aus den Feiertagsreden ließen sich monetarisieren.

Neben einer angemessenen Härtefallleistung muss es endlich auch eine Gleichstellung von jüdischen Zuwanderern und Spätaussiedlern aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion bei der Rente geben. Ursprünglich hatte das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMAS) den Betroffenen Hoffnung auf wenigstens 10.000 Euro gemacht. Die jetzige Leistung ist dagegen im Vergleich dazu einfach nur noch schäbig.

Übrigens: Mit dem Kabinettsbeschluss gesteht das BMAS auch das Scheitern seiner ursprünglichen Pläne einer Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern mit hälftiger Finanzierung ein. Denn nach den ursprünglichen Plänen von Staatssekretär Schmachtenberg sollten die Länder sich zu der zunächst vorgesehenen einen Milliarde des Bundes mit einem Beitrag in gleicher Höhe einbringen.

Allerdings hatten einige der Verantwortlichen vom BMAS bei diesem Konzept von Anfang an auf ein Scheitern gesetzt: Denn mit der Verbindung der Ost-West-Rentenüberleitung, der Rente für jüdische Kontingentflüchtlinge und der Rente für Spätaussiedler, also von drei völlig unterschiedliche Problemlagen, hat man eine Lösung erschwert. Mit dem Heranziehen der Länder zur Finanzierung bei Fragen (Kriegsfolgenlasten, Rente, Grundsicherung), für die sie nach der Finanzverfassung nicht zuständig sind, hatte man sich 16 Vetorechte der Länder eingehandelt. So hat man die sechs Jahre seit der ersten Koalitionsvereinbarung,[4] in die das Projekt Eingang fand, mutwillig vertrödelt und Geld durch das Wegsterben von Betroffenen gespart.

Die Notlage der älteren jüdischen Zuwanderer ist migrationsbedingt. Während aber bei der Gruppe der Spätaussiedler die Arbeitszeiten im Herkunftsgebiet (Gebiet der früheren Sowjetunion) als Zeiten im deutschen Rentenversicherungssystem gewertet werden, entfällt dies bei jüdischen Zuwanderern. Mit dramatischen Folgen: „Eine aus der Migration resultierte Folge für viele Menschen, die mittleren Alters nach Deutschland zuwandert [sic] sind, ist das Problem der strukturellen Altersarmut, von der heute ca. 70.000 jüdische Zuwanderer:innen betroffen sind. Das macht ca. 93 % der jüdischen Zuwanderer:innen im Rentenalter aus, die kein ausreichendes Versorgungsniveau erzielen, um ohne Grundsicherung im Alter auszukommen.“[5] Also quasi fast alle, die nicht im Rentenalter noch arbeiten.

Die Begründung für diese Diskriminierung basiert auf geschichtspolitisch falschen Annahmen: Die Spätaussiedler seien ja Status-Deutsche. Dies unterscheide sie angeblich von den Juden: Die jiddische Sprache – oder wie man früher sagte Teitsch[6] – und das aschkenasische Judentum gelten nach dieser Rechtsauffassung nicht zum „Deutschen Sprach- und Kulturkreis“ gehörig. Außerdem hatten die Spätaussiedler ein Kriegsfolgenschicksal erlitten.
Abgesehen davon, dass das angesichts der Shoah hochgradig zynisch klingt, zeugt es auch von historischer Unwissenheit:

Das Jiddisch hat seine sprachgeschichtlichen Wurzeln im deutschen Sprachraum. In seiner Entstehungsphase wurde es von den verschiedenen hochdeutschen Dialekten der Umgebung geprägt.[7] Auch die aschkenasischen Juden – die in der Sowjetunion lebten – stammen ursprünglich aus den deutschen Landen. Aschkenas steht im Mittelalter für das Städtedreieck Metz-Köln-Regensburg.[8] Und auch nach dem Krieg und der Shoah setzte unter Stalin in der Sowjetunion eine antijüdische Verfolgung ein, die von der Vorgeschichte des 2. Weltkrieges nicht zu trennen ist.[9]

Die Benachteiligung der jüdischen Zuwanderer gegenüber den Spätaussiedlern schreibt die jahrhundertealte, antijüdische Aussonderung und Benachteiligung fort. Aus geschichts-, identitäts- und sozialpolitischen Gründen ist es geboten, diese endlich zu überwinden. Dabei müssen aber historische Identitätsbildungen antisemitismuskritisch dekonstruiert und neu rekonstruiert werden.

Fußnoten

Fußnoten
1 Eckpunkte zur Errichtung einer Stiftung des Bundes zur Abmilderung von Härtefällen in der Ost-West-Rentenüberleitung, für jüdische Kontingentflüchtlinge und Spätaussiedler. Berlin, o.D., abrufbar unter: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Rente/eckpunkte-stiftung-abmilderung-haertefaelle.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 24.11.2022).
2 Vgl. Schultheis, Joshua / Thaidigsmann, Michael (2022): Der Härtefallfonds kommt, Jüdische Allgemeine am 24.11.2022, abrufbar unter: https://www.juedische-allgemeine.de/politik/der-haertefallfonds-kommt/ (zuletzt abgerufen am 24.11.2022).
3 Vgl. KNA Redaktion (2022): Volker Beck: Härtefonds» völlig unzureichend«. Jüdische Allgemeine am 20.11.2022. https://www.juedische-allgemeine.de/politik/volker-beck-haertefondsvoellig-unzureichend/ (zuletzt abgerufen am 24.11.2022).
4 Vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, S. 93 Zeile 4323 ff.; Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Gründen und FDP, 20. Legislaturperiode, S. 58.
5 Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e. V. (2022): Factsheet zum Problem der Altersarmut unter jüdischen Zuwanderer:innen, abrufbar unter: https://zwst.org/sites/default/files/2022-01/Factsheet%20zum%20Problem%20der%20Altersarmut%20unter%20jüdischen%20Zuwandererinnen%20%282%29.pdf (zuletzt abgerufen am 24.11.2022).
6 Vgl. Kühl, Martin (2022): Jiddisch im Sozialrecht, in: NZS 2022, S. 401–404; Beck, Volker (2021): Jüdische Sprache im Recht. Wie deutsch ist Jid¬disch? Legal Tribune Online am 16.10.2021, abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/jiddisch-sprache-deutsch-kultur-juden-nationalsozialismus-renten-entschaedigung-bgh/ (zuletzt abgerufen am 24.11.2022).
7 Vgl. Aptroot, Marion (2011): Jiddisch in: Diner, Dan (Hrsg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur, Bd. 3, S. 196.
8 Vgl. Beck, Volker (2019): Wider die Ungleichbehandlung der Rückkehrer. Spätaussiedler und jüdische Zuwanderer im Renten- und Staatsbürgerschaftsrecht. OSTEUROPA 69/9–11, S. 133–165, abrufbar unter: https://www.researchgate.net/publication/338194571_Wider_die_Ungleichbehandlung_der_Ruckkehrer_Spataussiedler_und_judische_Zuwanderer_im_Renten-_und_Staatsburgerschaftsrecht_OSTEUROPA_69_Jg_9-112019_S_133-165 (zuletzt abgerufen am 24.11.2022); Beck, Volker (2022): Von Konstantin bis Kohl – Jüdische Altersarmut, Identitäts- und Rechtsfragen sowie 1700 Jahre jüdische Geschichte in Deutschland. Experteninitiative Religionspolitik am 23. 05. 2022, abrufbar unter: https://www.experteninitiative-religionspolitik.de/blog/von-konstantin-bis-kohl-juedische-altersarmut-identitaets-und-rechtsfragen-sowie-1700-jahre-juedische-geschichte-in-deutschland/ (zuletzt abgerufen am 24.11.2022); Goldmann, Ayala (2022): Rentengerechtigkeit in Aschkenas? Jüdische Allgemeine am 02.06.2022, abrufbar unter: https://www.juedische-allgemeine.de/politik/rentengerechtigkeit-in-aschkenas/ (zuletzt abgerufen am 24.11.2022).
9 Vgl. dazu Werth, Nicolas (1998): Die letzte Verschwörung, in: Courtois, Stéphane / et al. (1998): Das Schwarzbuch des Kommunismus – Unterdrückung ,Verbrechen und Terror. München/Zürich, S. 268–275; Werth, Nicolas (1998): Ein Staat gegen sein Volk, in: Courtois, Stéphane / et al. (1998): Das Schwarzbuch des Kommunismus – Unterdrückung ,Verbrechen und Terror. München/Zürich, S. 51–295.

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