Der Hamburger Vertrag mit muslimischen Verbänden

14. 09. 2022
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Vor zehn Jahren unterzeichneten die Freie und Hansestadt Hamburg und die drei muslimischen Verbände, der DITIB-Landesverband Hamburg (DITIB), SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg (SCHURA) und der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) einen Vertrag „mit dem Ziel, die Beziehungen (…) partnerschaftlich weiterzuentwickeln“.

Zwischen 2009 und 2013 war ich Vorstandsmitglied des DITIB Landesverbandes Hamburg und habe in dieser Zeit die Gespräche bis zur Unterzeichnung des Vertrages mitgestaltet.
Die Partner des Vertrages versicherten einander ein „gemeinsames Eintreten“ für gemeinsame Wertegrundlagen und die Ziele des Vertrages. Für die muslimischen Vertragspartner war jedoch, so muss man aus heutiger Sicht wohl schlussfolgern, das Ziel der eigenen Bemühungen mit dem Datum der Vertragsunterzeichnung bereits erreicht. Man war „als Religionsgemeinschaften anerkannt“. Eine über diese Anerkennung hinausreichende Zielsetzung des Vertrages haben die muslimischen Verbände nicht erkannt oder sich nicht angeeignet. Dies wird auch in einer aktuellen Expertise der AIWG zu dem Hamburger Vertrag deutlich.

AIWG-Expertise

Diese Expertise ist im vergangenen Jahr unter dem Titel „Das Verhältnis zwischen Staat und islamischen Religionsgemeinschaften – Der Hamburger Staatsvertrag aus Praxisperspektive“ von der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG), Goethe-Universität Frankfurt am Main, herausgegeben worden. Verfasst wurde die Expertise von Norbert Müller, der im Text u.a. wie folgt vorgestellt wird: „Norbert Müller (…) ist Vorstandsmitglied bei SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V.. Dort ist er (…) Beauftragter der islamischen Religionsgemeinschaften bei Senat und Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg. Während der Verhandlungen zum Staatsvertrag in Hamburg war er Mitglied der Verhandlungskommission der islamischen Verbände. Ferner ist er Mitglied des Boards der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG).“

Mit dieser „Praxisperspektive“ macht die Expertise Probleme sichtbar, die ohne sie vermutlich nicht so deutlich hervorgetreten wären.
So heißt es z.B. im Hinblick auf die SCHURA: „(…) Der Rat ist seit 2012 im Rahmen des Staatsvertrags mit der Stadt Hamburg einer der Kooperationspartner des Landes und damit als Religionsgemeinschaft anerkannt.“
Diese Betonung der „Anerkennung als Religionsgemeinschaft“ wird im Zusammenhang mit allen muslimischen Vertragspartnern wiederholt – obwohl in den Einzelbegründungen des Vertrages ausdrücklich klargestellt wird, dass das geltende Recht keine konstitutive „Anerkennung“ als Religionsgemeinschaft kennt. Der Staat verpflichtet sich vielmehr, die muslimischen Verbände als Religionsgemeinschaften im Sinne unserer Rechtsordnung zu behandeln.
Anhand einiger weiterer Details des Vertrages soll verdeutlicht werden, wie sehr der Gedanke der Fortentwicklung der Zusammenarbeit und des religionsverfassungsrechtlichen Status der muslimischen Partner von diesen selbst vernachlässigt wurden und der Vertrag, unmittelbar nach seiner Unterzeichnung wohl nie mehr gelesen, für zehn Jahre in der Schublade verschwand.

Feiertage

Als einen der wenigen nicht nur deklaratorischen, sondern ausdrücklich gestaltenden Punkte enthält der Vertrag eine Feiertagsregelung. Ihr Inhalt wurde in zehn Jahren nicht vertragsgemäß umgesetzt. Die gängige Praxis in Hamburg ist nach wie vor jene, dass die muslimischen Verbände die Schulbehörde nur über eine bestimmte Zeitspanne von mehreren Tagen informieren, statt über das konkrete Datum bestimmter Feiertage. Weder den muslimischen Partnern insgesamt noch etwa allein den Mitgliedern der SCHURA ist es möglich, sich untereinander auf einen bestimmten Tag oder auch nur auf einen von zwei bestimmten Tagen festzulegen. Seit zehn Jahren dokumentieren die muslimischen Verbände damit, dass sie Aufgaben einer Religionsgemeinschaft nicht auf der Ebene von Dachverbänden erfüllen können.

Mitgliederstruktur

Zum gleichen Ergebnis kommt man, wenn man die Entwicklung der Mitgliederstruktur der SCHURA in den letzten zehn Jahren betrachtet.
Eine Mischstruktur ist nicht unproblematisch und wurde bereits während des Verhandlungsprozesses ausgiebig diskutiert. Ein Dachverband ist nämlich dann keine Religionsgemeinschaft, wenn er seinerseits nicht von Unterverbänden geprägt wird, die der umfassenden Religionspflege dienen, sondern von religiösen Vereinen beherrscht wird.
Zum Zeitpunkt des Gutachtens vor zehn Jahren gehörten neben 32 Moscheegemeinden auch fünf mit Moscheegemeinden verbundene Frauen-, Studenten- und Bildungsvereine sowie vier sonstige Vereine zu den Mitgliedern der SCHURA.
Die SCHURA selbst untergliedert ihre Mitglieder auf der eigenen Webseite aktuell wie folgt:
39 „Moscheevereine“, 9 „mit Moscheegemeinden und Verbänden verbundene Frauen-, Jugend-, Studenten- und Bildungsvereine“, 15 „weitere Mitgliedsvereine“.
Damit hat sich der Anteil von religiösen Vereinen, die den Gesamtcharakter einer Religionsgemeinschaft als solche eher schwächen von knapp 10 % auf knapp 24 % mehr als verdoppelt und stellt heute knapp ein Viertel der Gesamtmitglieder des Dachverbandes. Sollten die gruppenbezogenen Untergliederungen tatsächlich nur als Interessenvertretungen innerhalb der Verbandshierarchien fungieren – was tatsächlich wohl der Fall sein dürfte –, wäre der Anteil nur religiöser Vereine in zehn Jahren auf 38 % angewachsen.
Die SCHURA hat sich also in den letzten zehn Jahren auch religionsverfassungsrechtlich betrachtet vom Charakter einer Religionsgemeinschaft eher entfernt als diesen zu stabilisieren.

Gemeinsamer Beauftragter

In Artikel 11 Absatz 2 des Vertrages heißt es: „Zur ständigen Vertretung ihrer Anliegen gegenüber der Freien und Hansestadt Hamburg und zur gegenseitigen Information bestellen die islamischen Religionsgemeinschaften eine Beauftragte oder einen Beauftragten bei Senat und Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg.“
Zwar wird der Autor der AIWG-Expertise, Norbert Müller, im Infotext der Expertise aus 2021 als ein solcher Beauftragter vorgestellt.
Eine Anfrage beim Hamburger Senat wurde indes mit dem Hinweis beantwortet, dass der Senatskanzlei kein/e Beauftragte/r im Sinne des Artikels 11 bekannt ist. Dies beziehe sich auf die Gegenwart. Zurzeit könne nicht recherchiert werden, ob es mal einen solchen Beauftragen gegeben hat.
Es deutet einiges darauf hin, dass die Bestellung durch die Verbände tatsächlich gar nicht oder intransparent oder willkürlich durch einen Verband allein erfolgt ist. Beim staatlichen Vertragspartner scheint eine solche Bestellung jedenfalls nicht angekommen zu sein.

Gemeinsame Wertegrundlage

Das Versprechen, für gemeinsame Werte einzutreten, konnten die muslimischen Verbände schon während der Verhandlungsführung über den Inhalt des Vertrages nicht uneingeschränkt einlösen. Ein Vertreter der SCHURA musste seinen Platz in der Delegation der muslimischen Verhandlungsführer deswegen räumen.
Mit dem Islamischen Zentrum Hamburg (IZH) ist der Außenposten des iranischen Regimes Mitglied der SCHURA. Eine glaubwürdige Distanzierung oder gar die Beendigung der Mitgliedschaft gelingt der SCHURA bis heute nicht. Man will vielmehr den Bekundungen des IZH glauben, zwar Teil des iranischen Regimes zu sein, aber gleichzeitig nicht dessen Werte, sondern die des deutschen Grundgesetzes zu vertreten.
Vertraglich verpflichtet zum gemeinsamen Eintreten gegen demokratiefeindliche und antisemitische Tendenzen, zeigt sich die SCHURA mit ihren Vertretern bislang auf tatsächlicher Ebene eher dazu bereit, das iranische Regime und seine Auslandseinrichtungen zu unterstützen als die Behörden ihres Vertragspartners.

Schlussbetrachtung

Die staatliche Seite wird voraussichtlich an dem Vertrag festhalten.
Die These einer demokratischen Transformation durch Kooperation oder einer wachsenden religionsverfassungsrechtlichen Selbstorganisation durch kooperative Nähe hat sich indes nicht bewahrheitet. Vielmehr haben sich die muslimischen Verbände in den verstrichenen zehn Jahren in allen oben zitierten Punkten rückwärts entwickelt.
Ein taktisches Verhältnis zu Stadt und Gesellschaft, ein strategisches Warten auf günstigen politischen Wind kann zur Unterzeichnung eines Vertrages führen. Es füllt diesen Vertrag aber nicht mit Leben. Die muslimischen Verbände in Hamburg sollten in den nächsten zehn Jahren nachweisen, dass sie das endlich verstanden haben und nicht nur auf dem Papier, sondern auch tatsächlich Religionsgemeinschaften sein wollen.

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