Über 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland feiern wir 2021 mit einem Festjahr. Zahlreiche Beteuerungen von der Zugehörigkeit des Judentums zu unserem Land hört man aus diesem Anlass von Politikerinnen und Politikern aller Parteien. Es wäre Zeit, das bei einer Überarbeitung der 16 Feiertagsgesetze der Länder in die Tat umzusetzen.
Gemessen an Kirchhofs Postulat, dass „die Gesetzgebung in klarer verständlicher Aussage gefasst ist, die bei allen Adressaten die gleiche Vorstellung vom Regelungsinhalt hervorbringt“,[1] fallen alle 16 Feiertagsgesetze der Bundesländer besonders bezüglich der Regelung für jüdische Gläubige, aber auch ansonsten, mehr oder weniger durch. Was die Rechtsprechung für Recht erkannt hat, findet sich in keinem der 16 Feiertagsgesetze vollständig. Teilweise nicht einmal das, was der Gesetzgeber an anderer Stelle kodifiziert und vertraglich geregelt hat.
Einem Juristen-Ondit zufolge, erleichtert ein Blick ins Gesetz die Rechtsfindung. Voraussetzung dafür ist aber, dass die wesentlichen Regelungen sich dort auch finden lassen. Man darf die Feiertagsgesetzgebung in diesem Sinne ruhig schlechte Gesetzgebung und intransparente Religionspolitik nennen.
Diskutiert man in Deutschland über das Feiertagsrecht, steht sicher das christliche Osterfest vor der Tür und die Jugendorganisationen einiger Parteien kündigen Proteste gegen das Tanzverbot am Karfreitag an.[2] Oder die Springer-Medien brechen gerade zum wiederholten Mal eine Debatte vom Zaun, ob ein religiöses Fest des Islam gesetzlicher Feiertag[3] werden solle. Wie eine Feiertagsgesetzgebung in einer religiös pluralen Gesellschaft mit christlicher Tradition auszusehen habe, ist dagegen kein wirkliches Debattenthema. Überfällig wäre dies allerdings schon längst.
Die religiöse Pluralisierung hat in Deutschland nicht erst vor kurzem begonnen, wie zuweilen bei entsprechender Anmahnung erwidert wird: Dieses Jahr feiern wir über 1700 Jahre jüdisches Leben auf deutschem Boden. Und der Ramadan gehört in Deutschland inzwischen auch ungefähr so lange zum Brauchtum wie das Oktoberfest.[4] Heute finden sich Gläubige aller Weltreligionen, neben einer wachsenden Zahl religiös Ungebundener, in unserem Land.[5] So viel Deutschland offiziell auf seine Diversität hält,[6] in der Religionspolitik ist sie eher Fehlanzeige. Selbstverständlich geht es nicht darum, religiöse Feiertage von Minderheiten zu gesetzlichen Feiertagen zu machen.
Das Grundgesetz schützt in ‚christlich-abendländischer Tradition‘ ausdrücklich nur die Sonn- und staatlichen anerkannten Feiertage. „Ohne Ausgleich stehen sich hier einerseits die Festlegungen des Art. 139 WRV auf Sonntage sowie christliche Feiertage und die Bedürfnisse der Andersgläubigen gegenüber.“[7] Die traditionsbedingten, institutionellen Garantien des Art. 140 GG, hier des Art. 139 WRV, müssen deshalb mit dem Benachteiligungsverbot des Art. 3 GG und der Garantie der Religionsfreiheit des Art. 4 GG zusammengelesen werden: Die 16 Feiertagsgesetze gestalten diesen verfassungsrechtlichen Schutz einfachgesetzlich aus. Einige erwähnen zwar jüdische und muslimische Feiertage, in anderen Ländern muss man die Rechtslage in Vereinbarungen und Verträgen suchen, um den feiertagsgesetzlichen Regelungsgehalt überhaupt erst zu finden. Es liegt den Feiertagsgesetzen jedoch ein vor allem ausschließlich christliches Feiertagsverständnis zugrunde: Meist ist lediglich der Gottesdienstbesuch an den nicht-christlichen, religiösen Feiertagen garantiert. Dabei schützt die Rechtsprechung durchaus beispielsweise das traditionelle jüdische Verständnis und eine entsprechende Praxis der halachischen Arbeitsruhe[8] am Schabbat und an Torafesten von Yom Kippur bis Pessah.[9]
Aber weil es nicht explizit gesetzlich geregelt wird, macht es die Religionsfreiheitsberechtigten zu Bittstellern und Störenfrieden. Julia Bernstein hat in ihren Studien gezeigt, welche abenteuerlichen Haltungen bei Lehrerkollegien und Arbeitgebern[10] den die halachischen Vorschriften beachtenden Jüdinnen und Juden begegnen. Es zeigt sich: Wenn es nicht im Gesetz steht, macht es die Religionsfreiheitsberechtigten am Arbeitsplatz, in Schule oder Universität zum Bittsteller, zum Störenfried und zum religiösen Außenseiter. Es zwingt sie in Kämpfe, um nur das ihnen längst Zustehende und Zugebilligte immer wieder aufs Neue durchzusetzen.
Der Staat hat den Auftrag, die Grundrechte zu verwirklichen. Es ist zwar schön, wenn einzelne Hochschulen bei der Terminierung von sich aus Rücksicht auf Feiertage versprechen.[11] In Bereichen, in denen der Staat nicht nur Regulator, sondern auch hauptsächlicher Finanzier oder Betreiber ist, wie im Bereich von Verwaltung, Schule und Hochschulen, muss er die Aufgabe annehmen, Regelungen und Routinen von selbst an die verfassungsrechtliche Lage anzupassen. Sonst verfehlt er seine Rolle als Grundrechtsverwirklicher und Garant der Menschenwürde.
Die Landesgesetzgeber sollten sich gemeinsam verabreden, die von der Rechtsprechung in Deutschland längst garantierten Rechte zu kodifizieren. Dies betrifft vor allem Jüdinnen und Juden. Am Ende der Feiern zu über 1700 Jahren jüdisches Leben in Deutschland könnte ja ein Anfang darin liegen, dass religiöses jüdisches Leben sich auch tatsächlich unbeeinträchtigt entfalten kann.
Das Bundesverfassungsgericht hat einen weiteren Begriff der Religionsfreiheit als europäische Gerichte:[12] Es schützt ausdrücklich, „das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. Dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze, sondern auch solche religiösen Überzeugungen, die ein Verhalten als das zur Bewältigung einer Lebenslage richtige bestimmen.“[13] Für die Feiertagsgesetze heißt dies, auch der Besuch von Moscheen und Familienfeiern zu Ramadan und Opferfest für Muslime und Aschura für Schiiten sollten möglich gemacht werden, obwohl dies womöglich nicht zwingend als imperativ anzusehen ist. Auf alternativlose Prüfungstermine sollte man an diesen Tagen verzichten. Und für alle anderen Religionen bedürfte es wohl einer Kommission oder einer Studie, um vergleichbare schutzwürdige Tatbestände zu identifizieren und sie verbindlich auf einer Webseite zu veröffentlichen.
Dabei muss es dem Gesetzgeber gestattet sein, die Instrumente und Verfahren des Schutzes der religiösen Feiertage an der Zahl der Anhänger und der religiösen Bedeutung von Feiertagen in der jeweiligen Religion auszurichten. Die Ermöglichung für alle Gläubigen, ihr „Verhalten an den Lehren [ihr]es Glaubens“ auszurichten, muss dabei immer Blick bleiben: Im Kern geht es um Respekt und das Recht, verschieden zu glauben. Und den Glauben auch zu praktizieren.
Fußnoten
↑1 | Kirchhof, Paul: Gesetzgebung braucht Form und Stil, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.09.2002, S. 8. |
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↑2 | mja/et al.: Juso-Chef Kühnert fordert Abschaffung von Tanzverbot an Karfreitag, in: Rheinische Post Online, 18.04.2019, www.rp-online.de/panorama/deutschland/kritik-am-stillen-feiertag-kevin-kuehnert-will-tanzverbot-an-karfreitag-abschaffen_aid-38190167 (zuletzt abgerufen: 03.11.2021). |
↑3 | dpa: “Ich will den Christen nichts wegnehmen“, in: Stern, 17.11.2004, www.stern.de/politik/deutschland/islamischer-feiertag–ich-will-den-christen-nichts-wegnehmen–3542118.html (zuletzt abgerufen: 03.11.2021); Schuler, Ralf/Solms-Laubach, Franz: Brauchen wir wirklich einen muslimischen Feiertag?, in: Bild, 13.10.2017, www.bild.de/politik/inland/thomas-de-maiziere/brauchen-wir-wirklich-einen-muslimischen-feiertag-53525894.bild.html (zuletzt abgerufen: 03.11.2021). |
↑4 | Allerdings kamen erst mit den Anwerbeabkommen der 1960er-Jahre aus der Türkei und Jugoslawien Muslime in nennenswerter Zahl dauerhaft nach Deutschland. |
↑5 | Statistik der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid): Religionszugehörigkeiten 2020, 23.09.2021, www.fowid.de/meldung/religionszugehoerigkeiten-2020 (zuletzt abgerufen: 03.11.2021). |
↑6 | Studie der Charta der Vielfalt e. V.: Diversity in Deutschland, 2016, www.charta-der-vielfalt.de/fileadmin/user_upload/Studien_Publikationen_Charta/STUDIE_DIVERSITY_IN_DEUTSCHLAND_2016-11.pdf (zuletzt abgerufen: 03.11.2021). |
↑7 | Hoeren, Thomas/Mattner, Andreas: Feiertagsgesetze der Bundesländer, Köln 1989, S. 20. |
↑8 | Nachama, Andreas/et al.: Basiswissen Judentum, Freiburg 2015; Simon, Heinrich: Jüdische Feiertage, Leipzig 2003; Trepp, Leo: Die Juden. Volk, Geschichte, Religion, Reinbek bei Hamburg 1999, S. 336-361, 369-373; Zentralrat der Juden in Deutschland: Jüdischer Kalender – Jüdisches Jahr, www.zentralratderjuden.de/judentum/feiertage/ (zuletzt abgerufen: 03.11.2021). |
↑9 | BGH, Urt. v. 05.05.1959 – 5 StR 92/59 – BGHSt 13, 123; BVerwG, Urt. v. 17.04.1973 – VII C 38.70 – BVerwGE 42, 128; BSozG, Urt. v. 10.12.1980 – 7 RAr 93/79 – BSGE 51, 70; Morlok, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar Band 1, 3. Auflage, Tübingen 2013, Art. 4, Rn. 173 m. w. N. |
↑10 | Bernstein, Julia/Beck, Volker: Jüdische Perspektiven auf das religionssensible Schulsystem, in: Bernstein, Julia/et al. (Hrsg.): Schule als Spiegel der Gesellschaft, Frankfurt am Main 2021, S. 331-359. |
↑11 | BT-Drucks. 19/19724; ja: keine Prüfungen am Schabbat, in: Jüdische Allgemeine, 13.07.2020, www.juedische-allgemeine.de/politik/keine-pruefungen-am-schabbat/ (zuletzt abgerufen: 03.11.2021); Presseinformation der Ruhr-Universität Bochum: Keine Prüfungen an religiösen Feiertagen, 15.07.2020, www.news.rub.de/presseinformationen/hochschulpolitik/2020-07-15-senatsbeschluss-keine-pruefungen-religioesen-feiertagen (zuletzt abgerufen am 03.11.2021). |
↑12 | EGMR, Urt. v. 03.04.2012 – 28790/08 – NJOZ 2013, 2039; dazu kritisch: Meyer-Ladewig, Jens/Petzold, Herbert, Gerichtsverhandlung an Jom Kippur, in: NJW 2014, 3287 ff. |
↑13 | vgl. BVerfGE 32, 98 (106 f.); 33, 23 (28); 41, 29 (49); 108, 282 Rn. 37. |
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