Entsprechend dem jüngst veröffentlichten Koalitionsvertrag wird sich auch die künftige Bundesregierung den Herausforderungen der Religionspolitik annehmen. Ein Überblick über die religionspolitischen Positionen in der neuen Legislaturperiode.
Der Rückgang der Kirchenmitgliedschaftszahlen, die zunehmende religiöse und weltanschauliche Vielfalt in der Gesellschaft und damit einhergehende Debatten über die Rolle von Religion in der Gegenwart werfen nicht zuletzt die Frage auf, wie die zukünftige Bundesregierung sich zur Bedeutung von Religion, Kirchen und Religionsgemeinschaften positioniert.[1] Auch gerade das Koalitionsbündnis von CDU, CSU und SPD – somit einer christlich-demokratisch, einer christlich-sozial und einer sozialdemokratisch ausgerichteten Partei – bringt die Frage mit sich, welche Rolle die drei Parteien Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften in den kommenden Jahren zuschreiben und wie die drei Parteien ihre Religionspolitik gestalten wollen.
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD liefert hierzu Anhaltspunkte. Die Bedeutung, die die drei Parteien Kirchen und Religionsgemeinschaften in diesem zuschreiben, wird über den Beitrag für das Miteinander und die Gesellschaft im Gesamten definiert. So heißt es im Koalitionsvertrag: „Kirchen und Religionsgemeinschaften leisten einen unverzichtbaren Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Gemeinwohl.“[2]
Ein besonderes Augenmerk legen CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag auf die Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Sie wird als „Gradmesser für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Geltung der Menschenrechte“[3] angesehen und ihr damit ein großes Gewicht zugeschrieben, wenn es darum geht, einzuschätzen, inwieweit ein Staat demokratische Werte umsetzt. Bei der Wahrung des Menschenrechtes der Religionsfreiheit und des Minderheitenschutzes heben die Koalitionäre den „Schutz der weltweit größten verfolgten Gruppe, der Christen“[4] hervor. Mit Blick auf das Vorhaben der CDU und CSU,[5] die Anzahl der Beauftragten der Bundesregierung zu reduzieren, wird im Koalitionsvertrag klargestellt, dass das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit bestehen bleiben soll.[6]
Ganz deutlich geht aus dem Koalitionsvertrag hervor, dass die Koalitionäre sich vorgenommen haben, Antisemitismus auf verschiedensten Ebenen zu bekämpfen.[7] Im Koalitionsvertrag erklären sie hierzu unmissverständlich: „Deutschland trägt eine besondere Verantwortung im Kampf gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens.“[8] Im Weiteren wird unter anderem erklärt: „Wir fördern die Vielfalt des jüdischen Lebens in Deutschland und stellen sicher, dass keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten oder das Existenzrecht Israels in Frage stellen.“[9] Im Wissenschaftsbereich soll die Forschung zum Thema Antisemitismus gefördert werden.[10] Zugleich ist die Schaffung von einem „Kompetenznetzwerk für jüdische Gegenwartsforschung“ vorgesehen.[11]
Auf die Gestaltung von muslimischem Leben in Deutschland geht der Koalitionsvertrag, anders als beispielsweise der Koalitionsvertrag der Großen Koalition für die 19. Wahlperiode[12] und der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung für die 20. Wahlperiode[13], nicht ein. So hieß es beispielsweise im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung: „Wir wollen der Vielfalt des muslimischen Lebens Rechnung tragen und u.a. Jugendvereine unterstützen.“[14] Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition der 19. Wahlperiode fand sich eine Passage, die betonte, dass ein intensiverer Austausch zwischen Staat und Religionsgemeinschaften stattfinden sollte und hervorhob: „Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die Integration der Muslime in Deutschland.“[15] Um Austausch und Dialog geht es jedoch auch im Koalitionsvertrag der 21. Wahlperiode. Aufmerksamkeit schenken die Koalitionäre hier dem interreligiösen Dialog und erklären, dass sie diesen fördern wollen.[16] Was die CDU/CSU und die SPD im neuen Koalitionsvertrag auch thematisieren, ist das Vorgehen gegen Islamismus. Gezielt heißt es hier: „Wir werden den Islamismus bekämpfen und erarbeiten dafür einen Bund-Länder-Aktionsplan.“[17]
Insgesamt lässt sich resümieren, dass die CDU/CSU und die SPD in ihrem Koalitionsvertrag klar bekräftigen, sich für die Religions- und Weltanschauungsfreiheit einzusetzen und Antisemitismus zu bekämpfen, was auf eine gezielte Religionspolitik zu diesen Themen hoffen lässt. Religionsgemeinschaften werden für ihr Wirken in der Gesellschaft und ihren Beitrag für das Miteinander gewürdigt und ihnen hier eine zentrale Aufgabe zugeschrieben. Zudem besteht der Vorsatz, den interreligiösen Dialog zu fördern. Muslimisches Leben in Deutschland findet jedoch keine gesonderte Erwähnung, womit der Koalitionsvertrag sich in diesem Punkt von vorausgegangenen Koalitionsverträgen[18] abhebt und hier abzuwarten bleibt, ob und in welcher Form sich die Koalition in der 21. Wahlperiode auch muslimischem Leben widmet.
Fußnoten
↑1 | Siehe Evangelische Kirche in Deutschland (2023): Wie hältst du`s mit der Kirche? Zur Bedeutung der Kirche in der Gesellschaft. Erste Ergebnisse der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, unter: https://kmu.ekd.de/fileadmin/user_upload/kirchenmitgliedschaftsuntersuchung/PDF/Wie_hältst_du’s_mit_der_Kirche_–_Zur_Bedeutung_der_Kirche–in–der–Gesellschaft_KMU_6.pdf (abgerufen am 17.04.2025), S. 8–9; Bertelsmann Stiftung (2023): Zusammenleben in religiöser Vielfalt, unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/zusammenleben-in-religioeser-vielfalt (abgerufen am 17.04.2025), S. 16–18. |
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↑2 | CDU, CSU und SPD (2025): Verantwortung für Deutschland. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 21. Legislaturperiode, unter: https://www.koalitionsvertrag2025.de/sites/www.koalitionsvertrag2025.de/files/koalitionsvertrag.pdf (abgerufen am 17.04.2025), S. 86, Zeile 2758 f. |
↑3 | Ebd., S. 134, Zeile 4293 f. |
↑4 | Ebd., S. 134, Zeile 4295. |
↑5 | Vgl. Wahlprogramm von CDU und CSU: Politikwechsel für Deutschland, unter: https://www.cdu.de/app/uploads/2025/01/km_btw_2025_wahlprogramm_langfassung_ansicht.pdf (abgerufen am 17.04.2025), S. 8. |
↑6 | Vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (2025), S. 135, Zeile 4296 f. |
↑7 | Siehe ebd., S. 72, Zeile 2342–2344; S. 85, Zeile 2735–2740; S. 90, Zeile 2889–2895; S. 118, Zeile 3758–3760; S. 119, Zeile 3813–3816. |
↑8 | Ebd., S. 85, Zeile 2735 f. |
↑9 | Ebd., S. 85, Zeile 2738–2740. |
↑10 | Siehe ebd., S. 79, Zeile 2545 f. |
↑11 | Ebd. |
↑12 | Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (2018): Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land, unter: https://archiv.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitionsvertrag_2018.pdf?file=1,(abgerufen am 17.04.2025), S. 119, Zeile 5576–5578. |
↑13 | Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FPD (2021): Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1989762/9069d8019dabe546c2449dda2d838453/2021-12-08-koalitionsvertrag-data.pdf?download=1 (abgerufen am 17.04.2025), S. 111, 119 f. |
↑14 | Ebd. S. 119. |
↑15 | Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (2018), S. 119, Zeile 5577 f. |
↑16 | Siehe Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (2025), S. 86, Zeile 2759. |
↑17 | Ebd., S. 85, Zeile 2730. |
↑18 | Vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (2018), S. 119, Zeile 5576–5578; Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FPD (2021), S. 111, 119 f. |
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