In den USA regiert inzwischen eine Regierung, geführt von der Republican Party, die unter enormem Einfluss einer neuen christlichen Koalition steht. Die Democratic Party setzte demgegenüber eher auf stärkere Säkularisierung und eine laizistische Politik. Resultate sind u. a. eine religionspolitische Polarisierung der Parteien und eine konfrontative Spaltung der Gesellschaft. Will man in Deutschland Ähnliches vermeiden, so sollte eine intensivere Zusammenarbeit „bürgerlicher Parteien“ mit den Religionsgemeinschaften das Ziel sein. In Zeiten, die sich gewendet haben, bedarf es beim Thema „Politik und Religion“ eines neuen Denkens.
1. Von US-Amerika zu lernen kann nur heißen, parteiübergreifend mit Religionsgemeinschaften zu kooperieren
Gesellschaftliche und politische Entwicklungen aus den USA erreichen mit etwas Verzögerung nach einiger Zeit zumeist auch Europa und Deutschland. Bestätigt sich dieses häufig beobachtete Phänomen auch beim Thema „Politik und Religion“? Es geht um den großen Einfluss christlicher Religionsströmungen auf die Politik in den USA.
Denn dort regiert inzwischen eine US-Regierung, geführt von der Republican Party, die unter enormem Einfluss einer neuen christlichen Koalition steht. Diese besteht aus Evangelikalen (im Sinne ganz unterschiedlicher protestantischer Konfessionen), aus christlichen Nationalisten und Kulturkonservativen und aus konservativen Katholiken. Maßgebliche Personen der US-Administration oder in deren Hintergrund sind oder waren mit diesen religiösen Gruppen z. T. eng verbunden: Trump, Vance, Hegseth, Thiel, Kirk. Dem stehen auf Seiten der Democratic Party Tendenzen gegenüber, wegen zunehmender Säkularisierungstendenzen insbesondere bei Intellektuellen und Kultureliten an Ost- und Westküste den eigenen politischen Erfolg in einer laizistischen Politik zu suchen. Verkürzt formuliert: Die Republikaner setzen auf Religiöse als Wähler, die Demokraten auf Nichtreligiöse.
Die derzeitigen Resultate dieser religiösen bzw. religionspolitischen Polarisierung der Parteien sind – ob zwingend kausal oder nicht – jedenfalls ein „Erdrutschsieg“ der Republikaner und eine – auch durch weitere Faktoren erzeugte – konfrontative Spaltung der Gesellschaft. Aber das Ergebnis ist auch eine gewisse „Radikalisierung“ bestimmter dieser christlichen Gruppen.
Will man in Deutschland eine ähnliche Situation vermeiden und aus Fehlentwicklungen „jenseits des großen Teiches“ lernen, so sollte eine intensivere Zusammenarbeit religionsaffiner, zumindest nicht religionsaverser, bürgerlicher Parteien mit den Religionsgemeinschaften das Ziel sein.
2. Konfliktpotential – Spannungsverhältnis
Das Verhältnis von Religion und Politik ist vielschichtig und wird in modernen Gesellschaften oft als ambivalent betrachtet. Religion kann eine Rolle bei der politischen Meinungsbildung spielen und Konflikte beeinflussen, Themen anstoßen – sie kann auch eine friedensstiftende und soziale Rolle einnehmen. Die Politik kann eine neutrale Rolle gegenüber Religionen einnehmen oder eine Verbindung zu bestimmten Religionen herstellen, was sich in unterschiedlichen Modellen der Religionsfreiheit und des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften bzw. Kirchen zeigt. Drei Szenarien lassen sich skizzieren:
- Ambivalenz/Spannung:
Religion kann als Quelle gesellschaftlicher Konflikte wahrgenommen werden, insbesondere wenn sie politisch instrumentalisiert wird („politischer“ Islam, Evangelikale) oder wenn unterschiedliche religiöse Überzeugungen aufeinandertreffen.
- Friedensstifter/Konfliktpotenzial:
Gleichzeitig können religiöse Akteure eine wichtige Rolle bei der Konfliktlösung und Versöhnung spielen. Oder, wie im Falle des Patriarchen der Russischen Orthodoxen Kirche, kann es auch zur Legitimation eines Krieges durch einen religiösen Führer kommen.
- Politische Einflussnahme:
Religiöse Überzeugungen können die politische Meinungsbildung beeinflussen und politische Entscheidungen mitbestimmen.
3. Kultur- oder Kirchenkampf?
Hat die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner im Sommer tatsächlich einen „Kulturkampf“ eröffnet? Beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hannover sagte sie, dass Kirche mehr sein müsse als eine Nichtregierungsorganisation. Kirche müsse sich zu Sinnfragen äußern, aber dürfe keine Partei sein. Sie wünsche sich lautere Töne, wenn es um Fragen wie den Schutz des ungeborenen Lebens oder die Sterbebegleitung gehe. Es spreche nichts gegen deren gesellschaftspolitisches Engagement oder ihren Einsatz für den Klimaschutz. Ihrer Ansicht nach verließen viele Menschen die Kirchen, weil sie mit ihrer Glaubensbotschaft nicht ankämen. Der Markenkern der Kirche und des Christentums sei klasse – dies komme aber anscheinend so nicht mehr an. Natürlich müssten sich Christen auch politisch äußern, aber niemand trete in die Kirche ein, weil eine Synode einen Kompromiss über ein Tempolimit gefunden habe. Andererseits erlebe Frau Klöckner ein Schweigen der Kirchen, wenn über den Down-Syndrom-Test als Kassenleistung oder den Umgang mit dem ungeborenen Leben diskutiert werde. Auch übte sie Kritik an den Kirchen in Corona-Zeiten: Im Vergleich zu den staatlichen Schutzmaßnahmen hätten diese noch eine Schippe draufgelegt. Die Kirchen seien aufgefordert, mehr die grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod in den Blick zu nehmen und sich nicht wie eine Nichtregierungsorganisation zur Tagespolitik zu äußern.
Der religionspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hubertus Heil, sprach in der Herder Korrespondenz davon, dass Politiker den Kirchen nicht vorschreiben sollten, zu welchen Themen sie sich äußern sollten, und dass man als verantwortlicher Politiker nicht nur gefällige Meinungen erwarten solle, die die eigene Haltung widerspiegeln würden. Man müsse sich sogar gerade mit kritischen und unbequemen Positionen auseinandersetzen. Wenn sich Kirchen allerdings politisch äußern, müssten sie auch damit leben, dass es Widerspruch aus dem politischen Raum gebe. Als Christ finde er im Übrigen, dass eine „stumme Kirche eine dumme Kirche wäre“.
Daraus erschließt sich, dass sich die Frage nach der Rolle der Religion, der Religionsgemeinschaften und der Kirchen gegenüber der Politik stellt und mit Blick nicht nur auf die USA ein Handlungsbedarf besteht.
4. Religion war out, aber ist wieder ein Thema – also auch ein Thema für die Politik
Religion war über Jahre eine eher vernachlässigte Kategorie in der deutschen Politik. Am Rand stehen, weitgehend nur noch eine persönliche Privatsache: Individualisierung, Säkularisierung und Pluralisierung. Die islamische Revolution 1979 im Iran jedoch hob die politische Brisanz religiöser Vorstellungen wieder ins öffentliche Bewusstsein. Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat das Verhältnis von Religion und Politik als Faktor in den internationalen Beziehungen eine besondere Bedeutung erlangt. In Theorien wie der des „Clash of Civilizations“ (Samuel Huntington) rückte Religion als prägendes und abgrenzendes Element von Kulturen wieder in den Fokus.
Noch ist nicht klar erkennbar, ob es sich dabei nur um eine Instrumentalisierung von Religion für politische Zwecke handelt oder ob wir es mit einer genuinen Renaissance des Religiösen zu tun haben. Wenn der Islam und das Christentum schon immer einen allumfassenden – und damit politisch-aktiven – Zuständigkeitsanspruch erhoben haben, so erscheint dieser im postmodernen Zeitalter in einem neuen Licht.
Die reinen Zahlen sprechen nicht dafür: Alle Menschen können in Deutschland ihren Glauben frei praktizieren – unabhängig davon, welcher Religion sie angehören; sie haben aber auch das Recht der negativen Religionsfreiheit. Etwa 50 % in Deutschland sind heute noch Christen; rund 7 % sind Muslime und 4 % gehören anderen Religionen an. Und 36 % der Bevölkerung gehören keiner Religion an, Tendenz steigend.
Die Migration in Deutschland stellt aber einen starken Faktor für Religiosität dar, denn ein großer Teil der Eingewanderten sind gläubige Muslime und sie halten in gewisser Weise der deutschen Gesellschaft den Spiegel vor.
Zudem bilden Religion und Wertekanon gerade in Krisen-, Konflikt-, Kriegs- und Wendezeiten (Pandemie, Ukraine, Israel, Iran etc.) einen für viele Menschen gesuchten und angesteuerten sicheren Hafen.
Selbst Jürgen Habermas, der sich ausdrücklich als „religiös unmusikalisch“ bezeichnet und insofern unverdächtig einer einseitigen Parteinahme ist, sah Deutschland schon Anfang der Nullerjahre gar in einem „postsäkularen Zeitalter“. In seiner Dankrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Oktober 2001 – also kurz nach den Anschlägen des 11. September – fordert er, dass sich der säkulare Staat der Quellen seiner Sinnstiftung nicht entäußern dürfe. Und zu diesen Quellen zählt Habermas auch die zweifelsfrei religiöse Herkunft seiner moralischen Grundlagen. Gerade wenn es um existenzielle Fragen gehe, dürfe die Politik den fortwährenden Streit über das säkulare Selbstverständnis der Gesellschaft nicht externalisieren, also in die Köpfe von Gläubigen abschieben. Und zuletzt warnte er 2025 in einer Festschrift vor einer Verflachung des christlichen Glaubensgehalts und der Gefahr für die Konsistenz des Religionsbegriffs, die sich darin verberge.
5. Bestehende Kooperationskonstruktionen zwischen Staat und Religion
In Deutschland sind Religion und Staat – und damit auch gewissermaßen Religion und Politik – formal getrennt. Der Art. 137 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung i. V. m. Art. 140 GG statuiert das Verbot der Staatskirche. Dieser Grundsatz bedeutet in der Praxis, dass der Staat weltanschaulich neutral sein muss und sich nicht mit einer Religion identifizieren darf. Deutschland hat daher keine Staatskirche, sondern ein System, in dem Staat und christliche Kirchen und andere Religionsgemeinschaften in vielen Bereichen kooperieren.
Kooperative Trennung von Staat und Religion
Der deutsche Staat hat sich in seiner Verfassung verpflichtet, Religionen und Weltanschauungen neutral zu begegnen. Er darf sich selbst mit keinem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis identifizieren. „Neutral“ bedeutet aber nicht, dass der Staat Religionen ablehnend oder gleichgültig gegenübersteht: Es ist verfassungsrechtlicher Status quo und politischer Konsens, dass Religionen zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Staat daher eine „fördernde Neutralität“ gegenüber Religionen und Weltanschauungen nahegelegt.
Feiertage und Religionsunterricht
„Fördernde Neutralität“ bedeutet, dass Staat und Religionen in vielen Bereichen partnerschaftlich zusammenarbeiten: Der Staat beteiligt sich finanziell an Krankenhäusern und sozialen Einrichtungen, die von Religionsgemeinschaften getragen werden. Die christlichen Feiertage wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten sind laut Verfassung geschützt. Aber auch muslimische oder jüdische Feiertage und Riten finden in Verträgen zwischen den Ländern und den (Dach-)Verbänden dieser Gemeinschaften Anerkennung. In einigen Ländern erhalten Schüler an staatlichen Schulen christlichen (katholisch, evangelisch, orthodox), muslimischen (sunnitisch, alevitisch, ahmadiyyaisch) oder auch jüdischen Religions- oder Weltanschauungsunterricht. Auch buddhistischer, alt-katholischer, mennonitischer, syrisch-orthodoxer, unitarischer Unterricht oder humanistischer Lebenskundeunterricht werden erteilt. Theologen, jüdische MA-Absolventen oder islamische Religionspädagogen studieren an staatlichen Universitäten oder Hochschulen.
Kirchensteuer
Deutschland ist eines der wenigen Länder weltweit, die eine Kirchensteuer erheben. Damit finanzieren die Kirchen unter anderem Ausgaben für ihre Gemeinwohlorientierung. Sie beträgt 8 oder 9 % der Einkommensteuer. Die Finanzämter ziehen die Steuer – gegen eine Verwaltungskostenentschädigung zwischen 2 und 4 % des Steueraufkommens – für die Kirchen von deren Mitgliedern ein.
Alte Verträge und neue Religionsgemeinschaften
Die Zusammenarbeit von Staat und Religionsgemeinschaften ist im Grundgesetz und durch Verträge geregelt. Viele Bestimmungen kommen aus einer Zeit, als die große Mehrheit der Deutschen einer Kirche angehörte. Sie sind deshalb auf die christlichen Kirchen zugeschnitten. Seit einigen Jahren versucht der Staat, den Islam in die Bestimmungen einzubeziehen. Das Judentum in Deutschland hat diese Anpassung seit langem vollzogen. Für muslimische Gemeinschaften ist das nicht einfach, da sie anders organisiert sind als die christlichen Kirchen und etwa kein Verzeichnis über ihre Mitglieder führen.
Der Staat muss sich neutral verhalten, nicht laizistisch
Den Religionsgemeinschaften, ganz gleich ob christlich, jüdisch oder muslimisch, aber auch den Weltanschauungsgemeinschaften, steht das Recht auf Selbstbestimmung zu. Das bedeutet, dass sie und nicht der Staat entscheiden, was z. B. im Religionsunterricht oder an den jeweiligen wissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten oder Hochschulen gelehrt wird. Der Staat wirkt an einer Lehrerlaubnis mit. Religiös und weltanschaulich neutral bedeutet aber nicht laizistisch oder gar religionslos.
Körperschaftstatus
Die Kirchen und Religionsgemeinschaften haben das Recht auf Eigentum. Außerdem haben Religionsgemeinschaften unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, sich öffentlich-rechtlich zu organisieren (Körperschaftsstatus). Mit diesem Status sind bestimmte Rechte verbunden, wie das Recht, von den Mitgliedern Steuern zu erheben, aber auch Vorteile wie Steuer- und Gebührenbefreiungen. Die beiden christlichen Kirchen sind Körperschaften öffentlichen Rechts. Aber auch viele weitere Religionsgemeinschaften: Altkatholiken, Russisch-Orthodoxe Kirche in Deutschland, Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland, der Landesverband der Jüdischen Gemeinden und einzelne jüdische Gemeinden, Evangelisch-Freikirchliche Gemeinden (Baptisten), Bund Evangelischer Freikirchlicher Gemeinden, Bund Freier Evangelischer Gemeinden in Deutschland, Evangelisch-Lutherische Freikirche, Selbstständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK), Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden, Methodisten, Adventisten, Mennoniten, Heilsarmee, Mormonen, Christengemeinschaft, Unitarier, Unitarische Freie Religionsgemeinde, Neuapostolische Kirche, Humanistische Union, Aleviten, Ahmadiyya Muslim Jamaat, Freireligiöse Landesgemeinden sowie weitere freireligiöse Gemeinden. Zu fortgesetzten Problemen führt es, dass viele muslimische Denominationen keine Möglichkeiten sehen, sich kirchenförmig zu organisieren, um in den Genuss der Körperschaftsrechte zu kommen. Bisher dienen Hilfskonstruktionen wie Beiräte etwa an islamisch-theologischen Fakultäten dazu, die Selbstbestimmung der muslimischen Religionsgemeinschaft zu gewährleisten.
Seelsorge
Aber auch in der Seelsorge gibt es ein Zusammenwirken von Staat und Kirche. Das gilt in besonderem Maße für die Militärseelsorge der beiden christlichen Kirchen, aber auch für die jüdische und muslimische Militärseelsorge in der Bundeswehr, sowie für die Gefängnis- und Krankenhausseelsorge der genannten Religionsgemeinschaften bzw. Kirchen.
6. Verhältnis von (Partei-)Politik und Religion
Das Verhältnis von (Partei-)Politik und Religion vollzieht sich auf einer anderen Ebene, als das staatliche Verhältnis. Aus der Tatsache, dass der Staat religionsneutral sein soll – ganz abgesehen davon, dass man hinterfragen kann, ob das in der Praxis so ist –, leitet sich nicht automatisch ab, dass politisch Handelnde, seien das Personen oder Institutionen (Parteien), auch neutral sein sollen.
Ganz im Gegenteil: Religion trägt wesentlich dazu bei, bestimmte Haltungen von politischen Akteuren zu inspirieren – im Positiven wie im Negativen – und spielt eine wichtige Rolle im Parteien-Wettbewerb. Also, es wäre nicht zu empfehlen, dass politische Konkurrenten sich neutral verhalten in dieser Frage.
Das Label einer Partei („C“, „S“) hat zweifellos auch etwas mit den Inhalten und Positionen zu tun, die die Parteien vertreten. Aber eine wichtige Rolle spielt, dass bei den Wählerinnen und Wählern beispielsweise der CDU heute ungefähr 80 % tatsächlich eine konfessionelle Bindung haben, also der evangelischen Kirche angehören oder der katholischen Kirche (91 % in 2012; in der CSU sogar 95 % in 2012). In der neuen CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind 2025 von 208 MdBs noch immer 110 Abgeordnete katholisch (53 %) und 66 Abgeordnete evangelisch (32 %); demnach 85 % Christen. In der SPD sind 2025 von 120 MdBs noch 24 Abgeordnete katholisch (20 %) und 40 Abgeordnete evangelisch (33 %); also 53 % Christen. Bei Bündnis 90/Die Grünen sind 2025 von 85 MdBs 9 Abgeordnete katholisch (11 %) und 17 Abgeordnete evangelisch (20 %); mithin noch 31 % Christen.
Betrachtet man nochmals die politische Situation in den USA, so hat sich eine fatale Polarisierung eingestellt: Wer religiös ist, wählt dort zumeist republikanisch, wer nicht religiös ist, wählt häufig demokratisch. Kurzfristig für die Demokraten dort erwartete Vorteile, haben sich aber nicht eingestellt, weil die Säkularisierungstendenzen von Evangelikalen, aber auch anderen christlichen Strömungen aufgefangen bzw. konterkariert worden sind.
7. Kooperationsinstitution und Themen
Mit Blick auf diese Entwicklung in den USA erscheint ein verbesserter Kooperationsmechanismus zwischen Politik und Religion „alternativlos“. Eine Annäherung durch eine personale wie institutionelle Kooperations- und Gesprächseinrichtung bietet eine solche Möglichkeit. Etwa eine „Stiftung Religion und Politik“ oder eine „Deutsche Religionskonferenz“, die die Deutsche Islamkonferenz weiterentwickelt? Das Prinzip sollte religionsoffen fungieren: Christen, Juden, Muslime, Buddhisten, Hindus und auch weitere Religionen, aber etwa auch Humanisten – ganz im Sinne des Art. 4 GG, der positive wie negative Religionsfreiheit und Religionen wie Weltanschauungsgemeinschaften gleichbehandelt. Sie sollten entsprechend ihrer Größe und der Zahl der von ihnen vertretenen Gläubigen von der Politik gehört werden und die von unserer Rechtsordnung angebotenen Kooperationsformen mit dem Staat nutzen dürfen. Aber auch auf der politischen Seite sollte man klugerweise auch parteiübergreifend in einem gewissen Spektrum herangehen.
Und auch der Themenkanon bleibt eine wichtige Frage: Man braucht objektiv-gemeinsam geeinte Themen, die nicht der politischen Definitionsopportunität überlassen sind. Als Vorschläge lassen sich anführen:
- Verhältnis Staat – Religionsgemeinschaften unter der neuen Bundesregierung/Koalitionsvertrag
- Außen- und Sicherheitspolitik/Bedrohungslage/Verteidigungsfähigkeit
- Demokratie
- Migration (Familiennachzug, Staatsangehörigkeit, Resettlement)
- Aktueller Stand in bioethischen Fragen (Organspende, Schwangerschaftsabbruch, assistierter Suizid/Suizidprävention)
- Klimaschutz
- Update Entwurf einer Verordnung über mit bestimmten genomischen Techniken gewonnene Pflanzen und die aus ihnen gewonnenen Lebens- und Futtermittel
- Biopatente
- Selbstbestimmungsrecht/Subsidiarität/Kirchliches Arbeitsrecht
- Taufregister (EuGH-Vorlageverfahren aus Belgien zur Löschung des Taufeintrags nach Kirchenaustritt)
- Religiöse Symbole (Kreuz im Klassenraum oder im Gerichtssaal, Kreuz in öffentlichen Gebäuden, Kippa, Kopftuch oder Burka)
Die viel zitierten „bürgerlichen“ Parteien (dies kann ja ein durchaus offener Begriff sein) sollten aus Entwicklungen, beispielsweise in den USA, die richtigen Lehren ziehen. Aber natürlich sind auch die Religionsgemeinschaften aufgefordert, auf die Politik zuzugehen. In Zeiten, die sich gewendet haben, bedarf es auf beiden Seiten eines neuen Denkens und eines neuen Anfangs.
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